In „Feminismus revisited„, hrsg. im Berlin-Verlag, geht es um’s Kinderkriegen genauso wie um Krieg und Frieden, Körperpolitiken und politische Kämpfe, was es zu einem spannenden Buch für feministisch und bewegungshistorisch interessierte Leser*innen macht.

Erica Fischer, der Autorin von „Aimée und Jaguar. Eine Liebesgeschichte, Berlin 1943“ ist es mit ihrem neuen Buch gelungen, in einer ansprechenden und anregenden Form ihre eigene Biografie und eine persönliche Bestandsaufnahme sehr aktueller feministischer Debatten zu vereinen.

Die Autorin kam 1943 in Großbritannien zur Welt – ihre Eltern waren vor den Nazis aus Wien dorthin geflohen. Als sie fünf Jahre alt war, kehrte die Familie in diese Stadt zurück, in der sich Fischers jüdische Mutter anhören musste, „es in der Emigration besser gehabt zu haben als die >arischen< Wienerinnen, die den feindlichen Bomben ausgesetzt waren„.

Auf nachdenkliche Art und Weise flicht Erica Fischer ihre eigenen – im positiven Sinne unfertigen – Überlegungen zur Bedeutung ihrer Herkunft und Identität in den Text ein. Ihre Identitäten als Tochter einer unglücklichen Mutter, als zurück gekommenes Flüchtlingskind, als weiße Cis-Frau, als Feministin oder als Jüdin ohne Religiösität sowie ihre Klassenherkunft nehmen in ihrem inzwischen 75-jährigen Leben unterschiedliche Wertigkeiten an, von denen die Feministin vielleicht die entschiedenste oder nachhaltigste war und ist. Als solche, als Feministin der 2. Generation, unternimmt sie nun den Versuch, heute aktive junge Feministinnen zu treffen, um deren Ansichten und dem Feminismus der dritten oder vielleicht schon vierten Welle neugierig und offen nachzuspüren. Das wohlwollende Interesse, sich mit deren Auffassungen auseinanderzusetzen, kommt wohl nicht von ungefähr von einer weiblich sozialisierten Person. Bezeichnenderweise wäre ein 75-jähriger Mann – Aktivist in sozialen Bewegungen – der ein ähnlich konzipiertes Buch schreiben würde, für das er sich mit jüngeren Aktivistinnen der Bewegung trifft, kaum vorstellbar – auch im Geschlechterverhältnis linker Bewegungen ist noch vieles zu tun…

Das Ausloten der Veränderungen und Strömungen ist auch deshalb spannend zu lesen, weil Erica Fischer es schafft, ehrlich, selbstreflektiert und kritisch mit sich selbst in diesen Prozess zu gehen. Es ist beeindruckend zu lesen, wie offen sie z.B. über Scham, Sex, Schwangerschaftsabbruch, Schüchternheit und scheuernde Binden im Schritt schreibt. Da zeigt sich die Atmosphäre und Erfahrung, die Frauen wie Erica Fischer in den 70ern in Österreich machten und gestalteten: Selbsterforschung, consciousness-raising, Frauenselbsthilfe, Gesprächsgruppen und Frauenräume. Neben dem Wert, den solche Praxen für die Einzelnen hatten (und konkret dieses Buch bereichern), hatten und haben sie das Potenzial, traditionelle patriarchale und piefige Geschlechterverhältnisse aufzumischen. „Feminismus revisited“ ist in dieser Hinsicht ein bewegungshistorisch wertvolles Buch, da die kämpferische Stimmung, Mut und Aufbruchwillen der österreichischen Frauen in den 70er und 80er Jahren sowie ihre Erfolge oder auch Streits und Debatten von der Autorin immer wieder anhand konkreter Erinnerungen und Beispiele dargestellt werden.

Die Textteile, in denen ihre Interviewpartnerinnen direkt oder als Zusammenfassung von Gesprächen zu Wort kommen, sind je nach eigener Interessenslage, Kenntnisstand und politischer Verortung unterschiedlich lesenswert. Manche Darstellungen zu Sprach- und Bezeichnungspolitiken (die zu recht immer Teil feministischer Anliegen sind), fanden wir zu raumeinnehmend und zu identitätsfixiert, um sich selbst kreisend; Klassenstandpunkte, ökonomische und internationalere Blickwinkel werden vor allem von der Autorin selbst thematisiert. In einigen Kapiteln kommen die Lust am Umwerfen der Verhältnisse und radikale Positionen durchaus zum Vorschein. Aus unserer Sicht hatten besonders die Überlegungen, die Erica Fischer mit Mithu M. Sanyal über Gewalt an Frauen anstellt, großes Format und Tiefe; hier war Platz für Genauigkeit und Zwischentöne, Mut zu Fehlern, aber auch Raum für ein Selbstbewusstsein, trotz zum Teil harscher Kritik aus anderen feministischen Kreisen, Position zu beziehen. Etwa in der Debatte, wie Erlebende/Überlebende/Opfer/Betroffene männlicher Gewalt zu bezeichnen sind oder sich selbst bezeichnen, positioniert sich Sanyal im Hinblick auf das Weiterleben und die eigene Handlungsfähigkeit und plädiert überzeugend für eine Autonomie, auch Unterschiede im Umgang anzuerkennen und im besten Falle zu ermöglichen – eine Haltung, die an Virginie Despentes in „King Kong Theorie“ erinnert.

Am fruchtbarsten erschienen uns die Überlegungen, in denen Fischer nicht nur wiedergibt, sondern die Aussagen oder Positionen mit ihren eigenen zum Teil anders lautenden Erfahrungen oder Überzeugungen kreuzt. So vergleicht sie z.B. Streits zwischen Queer- und Radikalfeministinnen, die heute viel im Netz ausgetragen werden mit Debatten um klitoralen oder vaginalen Orgasmus aus ihrer eigenen aktivistischen Zeit:

Der Unterschied ist nur, dass der Streit damals in den geschützten Räumen des Frauenzentrums unter Frauen stattfand, die einander von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, heute jedoch in den anonymen Weiten des Netzes erfolgt„.

Zugegebenermaßen keine ganz neue Erkenntnis, aber in den jeweils konkreten Ausformulierungen und Beispielen lesen sich diese Vergleiche oft anregend und helfen, den Stand der Debatte oder auch die eigene feministische Position besser zu verorten. Ähnlich lesenswert sind Fischers Reaktionen auf für sie neue Diskussionsstränge oder Begriffe wie >Intersektionalität<: der Begriff war ihr zwar bisher fremd, „obwohl die Verknüpfung verschiedener Unterdrückungsformen schon immer Teil meines Denkens war“ – dieses Bewegungswissen gilt es auch aus Sicht heutiger feministischer ‚Standards‘ anzuerkennen und einzubeziehen. Im Kapitel mit Katrin Rönicke taucht diese Debatte auch nochmal im Zusammenhang mit dem Auseinanderbrechen der Redaktion des Blogs >Mädchenmannschaft< auf – das Buch lässt dankenswerterweise auch die Themen nicht aus, die zu tiefen Verwerfungen innerhalb der feministischen Bewegung führten. Auch mit Fischers Irritation beim Begriff >Trigger< lohnt es sich etwas mehr auseinanderzusetzen: in vielen Erinnerungen und Episoden wird eher die Lust der Wiener Frauenszene auf Konfrontation, das auch mal Über-sich-Herausgehen und Mutig-Sein beschrieben, aus dem Fischer viel Energie und Selbstbewusstsein gezogen hat; eigene (Frauen/Lesben-)Räume dienten vielleicht eher der eigenen Selbstversicherung und -ermutigung und wurden weniger als Schutzräume betrachtet.

Viel Anlass also für Diskussion und Debatte, aber auch zur Ermutigung – schön zu lesen sind die Stellen, an denen Fischer tatsächliche Fortschritte erkennt und sich authentisch darüber freut, wenn z.B. im Nachklang von #Metoo zu sehen ist, dass sexuelle Belästigung heute tatsächlich zum Karriere-Aus führen kann.

Wir finden: Lest das Buch „Feminismus revisited“ und nehmt ebenso viele Anregungen daraus, wie wir es getan haben.

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