Putins Olygarch
Die Olympischen Spiele in Paris laufen jetzt gerade, im Sommer 2024, und die Buchproduktion zu dem Thema boomt. Immerhin gibt es auch kritische Beiträge – wie dieses Buch „Putins Olygarch. Wie Thomas Bach und das IOC die Olympischen Spiele verraten“ – und nicht nur das naive Abfeiern vom angeblich so unpolitischen Zusammenkommen der „Jugend der Welt“.
Johannes Aumüller und Thomas Kistner sind langjährige Journalisten im Sportressort der Süddeutschen Zeitung und publizierten bereits eine Reihe von Beiträgen über Korruption, Filz und Mauscheleien im internationalen Spitzensport, speziell im IOC (Internationales Olympisches Komitee) und der FIFA (dasselbe in grün für den Fußball).
Hinzu kommt ihr Faible für die Verflechtung von Sport und Politik speziell in Russland, welches einen vorläufigen Höhepunkt in staatlichen Dopingprogrammen bei den olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi fand („größter Betrug der Sportgeschichte“). Aber der kritische Blick des Buches ist nicht nur nach Russland gerichtet, sondern schaut auch auf deutsche Player wie adidas und Thomas Bach.
Adidas versuchte frühzeitig, Einfluss auf das IOC zu nehmen, wo olympische Spiele ausgetragen werden sollen. Der ehemals größte Sportartikelkonzern investierte hierfür eine Menge Schmiergeld an korrupte IOC-Funktionäre. Schon vor dem Fall der Berliner Mauer sollte der ganze Ostblock mit adidas- Produkten geflutet werden, natürlich im Namen der Bilanzen von adidas. Die Vergabe der Olympischen Spiele nach Moskau im Jahr 1980 war daher nur folgerichtig. Schon zuvor hatte adidas mit der damaligen UdSSR weitreichende Lieferverträge ausgehandelt, die auch die Ausrüstung der Roten Armee mit Sportklamotten einschloss.
Der nächste IOC-Präsident – der spanische Frankist Juan Antonio Samaranch – und der aktuelle Thomas Bach stehen für – vorsichtig ausgedrückt – eine große Nähe zu den jeweiligen Herrschern im Kreml. Hierzu liefert das Buch eine Fülle von Details und Hintergründen, welche mit mehr als 20 Seiten Quellen belegt werden.
Allgegenwärtige Korruption im IOC paart sich mit intransparenten Entscheidungen und einer ordentlichen Portion Größenwahn. So versucht das IOC seit langem, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet werden, anmaßender geht es kaum. Der Personenkult um den jeweiligen IOC-Chef hat Ausmaße angenommen, die unerträglich sind.
Städte, welche sich um die Austragung der Spiele bewerben (warum eigentlich?), müssen sich vertraglich zu einer Reihe von Maßnahmen verpflichten, die mit dem nach außen getragenen Anspruch nichts zu tun haben. Faktische Immunität für IOC-Funktionäre, Verzicht auf Pass- und sonstige Kontrollen bei Ein- und Ausreise, Steuerfreiheit für alle Profite des IOC, Einschränkung von Grundrechten (so z.B. keine Versammlungen in einem Radius von 500m um die Sportstätten) usw. Nicht umsonst geht im IOC die Sorge um, dass sich lediglich noch Autokratien um die Austragung der Spiele bewerben. Eine Reihe von Bürger*innen-Befragungen hat bspw. in der BRD die letzten Bewerbungen gekippt. Aber egal, der Sportfunktionär – ja, in aller Regel ein Mann – findet immer Verbündete in der Politik und auch in Berlin wird schon seit längerem wieder über eine Bewerbung nachgedacht. Das äußerst geschmackvolle Datum 2036 wird ebenso gehandelt wie 2040. Die mit einer Austragung der Spiele mit absoluter Sicherheit entstehenden Milliardenlöcher im Finanzetat stören nicht, ebenso wie die in allen Olympiastädten rasant gestiegenen Mieten auch nur von der Bevölkerung gezahlt werden muss und nicht bzw. kaum von der herrschenden Klasse. Allerdings beherrschen aufsteigende Staaten des globalen Südens wie Indien, Saudi-Arabien oder Katar die Kunst der Korruption um einige Klassen besser als der Berliner Senat. Auch ist die Öffentlichkeit dort (noch) nicht so kritisch, wie sie hoffentlich hier wieder sein wird bei einer erneuten Olympia-Bewerbung. Anfang der 1990er Jahre gelang es jedenfalls ziemlich souverän, die damaligen Senats-Ambitionen in der Spree zu versenken. Gleiches galt für die nächste Bewerbung im Jahr 2014. Im Zweifel: auf ein Neues!
Das angesprochene Buch konzentriert sich leider ein bisschen zu sehr auf die Connection IOC-Kreml und die sicherlich stattfindenden sinistren Machenschaften eines Wladimir Putin. Der Untertitel „Wie Thomas Bach und das IOC die Olympischen Spiele verraten“ ist schlicht irreführend. Eine solche Sichtweise würde voraussetzen, dass es wirklich einmal heitere Spiele o.ä. gegeben hätte. Das ist nicht der Fall. Die ursprüngliche IOC-Politik, ab 1896 zu den Neuauflagen der Spiele nur Amateure und keine Profis zuzulassen, war nichts anderes als ein Ausschluss von Sportlern (Frauen durften ab 1900 in wenigen Sportarten teilnehmen, was sich bis heute erst Zug um Zug erweitert) aus der Arbeiterklasse. Nur Angehörige der oberen Klassen konnten es sich leisten, Leistungssport unbezahlt zu absolvieren, alle anderen waren darauf angewiesen, sich für ihre sportlichen Leistungen bezahlen zu lassen.
Bereits früh wurden die Austragungsorte der Spiele von Obdachlosen und anderen unerwünschten Personen gesäubert. Das IOC in den Anfangsjahren war eine Versammlung des Adels und hatte das Projekt Olympia gestartet, um den Bedeutungsverlust der Aristokratie gegenüber dem Bürgertum zu kompensieren.
So stellt das Buch leider die Olympischen Spiele an sich noch nicht einmal in Frage, sondern kritisiert – aber das sehr profunde – die jetzige Politik vom IOC und stellt die allgegenwärtige Korruption gut recherchiert und beschrieben an den Pranger.
Johannes Aumüller und Thomas Kistner: „Putins OlygarchWie Thomas Bach und das IOC die Olympischen Spiele verraten“ April 2024 // dtv // 320 Seiten kartoniert // 20,60 Euro
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