Hanna Vatter: Radikale Männlichkeit
Ein neues Buch „Radikale Männlichkeit. Der narzisstische Charakter und seine Sehnsucht nach Autorität„, welches mehrere aktuelle Themen (Incels, Nazis, Massenmorde) verknüpft, kein populärer Schnellschuss, sondern wissenschaftlich belegte Thesen über den „narzisstischen Charakter und seine Sehnsucht nach Autorität“ (so der Untertitel). Alle Ingredienzen für ein spannendes Buch sind vorhanden, könnte mensch meinen – ganz so einfach ist es dann aber leider doch nicht.
Die Autorin Hanna Vatter ist akademische Mitarbeiterin und Doktorandin an der FH Potsdam. Der sympathische Alibri-Verlag hat ihr Buch veröffentlicht, welches mit immerhin 15 Seiten Literaturverzeichnis doch Rückschlüsse auf einen gewissen Anspruch zulässt.
Inhaltlich geht es um die Mordanschläge von Utøya, Halle, Hanau und Isla Vista. Letzterer fällt in der hiesigen öffentlichen Wahrnehmung ziemlich ab, ist für die Untersuchung aber relevant, weil der Täter ein sog. Incel ist. Incels steht auf englisch für „unfreiwillig zölibatär“ und inhaltlich für extreme Misogynie. Die Anhänger dieser Ideologie – alles heterosexuelle Männer – sind in ihrer Frustrationstoleranz extrem unterbelichtet und in ihrer relativen Deprivation maßlos. Sie machen alle anderen – aber niemals ihre eigenen Unzulänglichkeiten – dafür verantwortlich, dass sie dass nicht bekommen, was ihnen angeblich zusteht: sexuelle Kontakte zu und Beherrschung von Frauen.
Die Autorin versucht aus einer feministischen Perspektive mit Hilfe psychoanalytischen Theorien die Denkweise dieses Typus von Attentäter zu analysieren.
Die vier Attentäter verbindet ihre menschenverachtende Ideologie gegenüber Migrant*innen, Frauen, Juden, Linken und allen anderen, die nicht in ihr Weltbild passen. Biografische Gemeinsamkeiten, ihr Narzissmus und der gesamtgesellschaftliche Rechtsruck werden von Hanna Vatter dargestellt. Es geht immer um die Abwertung des „Anderen“, des „Fremden“, womit nicht zwingend – aber eben auch – Personen gemeint sind. Der Verlust von angestammten weißen männlichen Machtpositionen im Verhältnis zu Frauen, Migrant*innen und „Anderen“ führt zunächst zu Verunsicherung, dann von einer Kränkung zu Verschwörungserzählungen und wie bei den vier erwähnten Attentätern zu Mordanschlägen. Hier fällt leider – wie oft auch bei anderen Autor*innen und Akteur*innen – auf, dass die Aufzählung, gegen welche Gruppen sich der Hass solcher Faschisten richtet, unvollständig bleibt. Der „Wunsch, Frauen, Ausländer und Juden zu vernichten“ (Klappentext) bleibt nicht auf diese Zielgruppen beschränkt, sondern geht darüber hinaus. Grade der Massenmord auf Utøya an jungen Sozialist*innen beweist, dass die politische Linke ebenfalls stets zu den potentiellen Anschlagszielen gehört. Auch der Attentäter von Halle hatte darüber nachgedacht, ob er nicht ein „Antifa-Zentrum stürmen“ sollte (S. 114), bevor er die örtliche Synagoge und die dort befindlichen Jüd*innen als Ziel seines Terrors wählte.
Die Autorin reiht mit vielen Fachbegriffen These an These, springt dabei aber häufig zu schnell und zu häufig von Thema zu Thema – was dem Buch nicht unbedingt gut tut. Wenn bspw. der bürgerlichen Demokratie struktureller Faschismus unterstellt wird, liest sich das zwar ziemlich flott, es wäre aber wichtig gewesen, diese doch relativ steile These etwas genauer zu begründen. Gleiches gilt u.a. für scheinbare Parallelen hinsichtlich der Frage, wie der Faschismus historisch in Italien und Deutschland an die Macht gekommen ist. In beiden Ländern soll eine der Ursachen gewesen sein, dass es in der Folge des ersten Weltkrieges zu einer Kränkung des Nationalstolzes kam – inklusive des Gefühles, zu kurz gekommen zu sein. Während dies für den Kriegsverlierer Deutschland als gesicherte historische Erkenntnis verbucht werden kann, wüsste mensch doch ganz gerne, warum dies in Italien – welches zu den Siegermächten gehörte (was allerdings keine Erwähnung findet) – auch so gewesen sein soll. Auch die Gleichsetzung rechter, rechtsextremistischer und offen faschistischer Parteien überzeugt ohne weitere Begründung leider nicht. AFD, III. Weg, Die Heimat, FPÖ, ÖVP, RN, PIS, Fidesz, Chrisi Avgi, Lega – alles eins ohne jede Differenzierung? Hier wird der offensichtliche wissenschaftliche Anspruch leider nicht überzeugend eingelöst.
Wem/welcher es lediglich um schnelles Namedropping geht, wird allerdings ganz gut bedient. Jaques Lacan, Luce Irigaray, Slavoi Sisek u.a. werden mit ihren Thesen und Theorien häufig zitiert und erwähnt, ebenso wie Stephan Grigat, als ein Repräsentant der antideutschen Fraktion.
Die vier Attentäter werden einzeln biografisch vorgestellt, wobei auffällt, dass der Schreibstil in diesen Kapiteln häufig ein völlig anderer ist, als in anderen Abschnitten. Von verschachtelten Sätzen voller Thesen, Antithesen und Synthesen wechselt die Sprache hier zu simplen Subjekt-Prädikat-Objekt-Sätzen, so dass sich schon die Frage stellt, ob hier die selbe Autorin am Werk war. Die Absätze beginnen teils mit den gleichen Worten, teils lediglich leicht verändert (S. 90f.; „Als Breivik vier / 13 / 16 Jahre alt war….“). Auffälliger als limitierte Ausdrucksformen sind allerdings inhaltliche Fehler. Mal ist der Attentäter von Utøya angeblich nur zu zwölf statt zu 21 Jahren Haft verurteilt worden (S. 95), mal fand der Anschlag von Hanau am 09.02.2020 statt (S. 120) und nicht am 19.02.2020. Teils erschoss der Attentäter von Hanau sieben Menschen (S. 116), dann acht plus die eigene Mutter (S. 120), und auch mal korrekt insgesamt zehn (S. 119).
Das Fazit des Buches fällt mit nur etwas über 3 ½ Seiten relativ knapp aus.
Wen und welche das nicht stört, erhält ein Buch, welches teilweise auf höherem sprachlichen Niveau eine Einführung in die menschenverachtende Ideologie von gewaltbereiten faschistischen Männern bietet – wobei die Verbindung zwischen narzisstischem Charakter und der Sehnsucht nach Autorität jetzt auch nicht für alle eine völlig neue Erkenntnis ist.
Hanna Vatter: „Radikale Männlichkeit. Der narzisstische Charakter und seine Sehnsucht nach Autorität“ 2023, Alibri-Verlag, 243 Seiten, kartoniert, 18 Euro