Torkil Lauesen: Die globale Perspektive

Der sympathische Unrast-Verlag hat ein – vom Lower Class Magazine herausgegebenes – spannendes Buch veröffentlicht, welches versucht, die Weltlage aus linker Sicht zu analysieren. Bereits der Untertitel „Imperialismus und Widerstand“ lässt erahnen, aus welcher linken Fraktion das Buch stammt. Gabriel Kuhn hat es aus dem Dänischen übersetzt und sich bereits in „Bankraub für Befreiungsbewegungen“ mit den entsprechenden Protagonisten (ja, es waren wohl wirklich ausschließlich Männer). beschäftigt.

 

Torkil Lauesen war eine Art „Chefideologe“ des dänischen KAK, Kommunistischer Arbeitskreis, (ab 1978 M-KA; Manifest – Kommunistische Arbeitsgruppe). Diese maoistische Organisation war einerseits ein typisches westeuropäisches Post-68er Phänomen und andererseits kamen einige der Mitglieder von der Theorie zur Praxis, was längst nicht selbstverständlich war. Noch dazu, weil die Praxis sehr radikal war und die politische Analyse auch vom Autor 1:1 militant umgesetzt wurde.

Der KAK hatte die Analyse, dass „der“ Arbeiter im globalen Norden bei einer Revolution viel zu viel zu verlieren hätte, da es ihm – verglichen mit den Lebensbedingungen im globalen Süden – hervorragend ginge. Ein vergleichsweise hohes Einkommen, allgemeine Gesundheitsversorgung, relative Sicherheit vor Gewalt und Kriminalität und ein nicht über die Maßen korrupter Staatsapparat ließen ihn vor revolutionären Veränderungen zurückschrecken. Ausgehend von dieser Analyse sah der KAK das revolutionäre Subjekt im globalen Süden verortet und nur von da aus könnten revolutionäre Erhebungen ausgehen, die schließlich auch den Norden erreichen sollten. Also verlegte sich eine klandestine Fraktion im KAK ab Anfang der 1970er Jahre auf Geld- und Waffenbeschaffungsaktionen und gab die Beute an trikontinentale Befreiungsbewegungen1 weiter, zum größten Teil an die palästinensische PFLP. Es gab keinerlei Bekennungen politischer Art, alle Aktionen wurden undercover durchgezogen. Im April 1989 flog die Gruppe auf und firmierte in der Öffentlichkeit unter dem Namen Blekingegade-Gruppe. Benannt wurde sie nach der Straße, wo ihre konspirative Wohnung war, in der jede Menge Waffen und Geld gefunden wurden. Der Autor gehörte mit zu denjenigen, die die höchste Strafe von 10 Jahren Knast bekamen – nach fast sieben Jahren im Dezember 1995 wurden er und zwei Andere entlassen.

Torkil Lauesen bleibt politisch aktiv und nimmt bspw. am ersten intergalaktischen Treffen der Zapatistas 1996 teil. In seinem jetzigen Buch stellt er noch einmal ausführlich die theoretische Analyse des KAK dar, transformiert sie aber auf heutige Verhältnisse und korrigiert offensichtliche Irrtümer, was ziemlich wohltuend ist. Auch ist die Darstellung differenziert und wird niemals platt, was politisch wertvoll ist.

Das Buch ist aufgeteilt in eine Darstellung des Imperialismus, des Kapitalismus und denjenigen Bewegungen, in die der Autor seine Hoffnung für Veränderungen setzt. Er benutzt dabei eine gute erklärende Sprache, ohne den Versuch, seine eigene Intellektualität zu betonen, wie es leider häufiger in theoretischen politischen Büchern der Fall ist. Er führt viele Zahlen an, die bestimmte historische Prozesse anschaulich erklären und untermauern, ohne dass es zu ausführlich wirkt oder eine/n zu erschlagen droht.

Der europäische Aufstieg, bedingt durch den Kolonialismus, verschiedene Hegemonien (Spanien/Portugal, Niederlande, Frankreich, England) inklusive ihrer jeweiligen Ablösungen durch andere Staaten werden gut und nachvollziehbar dargestellt. Herrschaftsformen inklusive ihrer religiösen Spezifika (warum modernisierte der Protestantismus den aufkommenden Kapitalismus?) werden in die Analyse einbezogen. Rassismus und Biopolitik werden ebenfalls einbezogen. Die Geschichte mindestens seit 1492 wird aus linker Sicht untersucht, ebenso wie die heutigen Produktionsbedingungen und warum und zu welchen Bedingungen ein Großteil der industriellen Produktion des Nordens in den Süden verlagert wurde.

Als wohl immer noch oder mindestens ehemaliger Maoist liegt es nahe, dass der Autor eine besondere Sichtweise auf China hat und seine Analyse von anderen linken Perspektiven abweicht.

Das Buch ist sehr zu empfehlen – speziell für Personen, die ihr Hintergrundwissen ergänzen, auffrischen oder sich auch zum ersten Mal für globale Analysen interessieren – oder für alte weiße Männer, die ein bischen meckern wollen, was in dieser Analyse wieder mal alles fehlt… 😉

Entgegen anderslautenden Gerüchten existiert der Imperialismus auch im Jahr 2023 immer noch und sollte analysiert und bekämpft werden. Kritisch an dem Buch wäre unserer Meinung nach ein zu seltener Blick auf den Feminismus und entsprechende Kämpfe. Die Klassiker Marx und Lenin werden etwas zu häufig zitiert, was den Wert des Buches aber nicht schmälern soll. Wir glauben auch nicht, dass der Autor die alte These des Hauptwiderspruchs durch die Hintertür wieder einführen will. Dieses Buch sollte nicht in den Buchläden vergilben, sondern die Regale linker Aktivist*innen füllen.


1Wir benutzen hier die damalige Terminologie. Heute bewerten viele – und auch wir – nationale Befreiungsbewegungen kritischer.


Torkil Lauesen: „Die globale Perspektive. Imperialismus und Widerstand“ Oktober 2022, Unrast-Verlag, 408 Seiten Softcover, 24 Euro

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