Herzschläge – Gespräch mit Ex-Militanten der Revolutionären Zellen

Der schöne Assoziation A-Verlag hat die linke Geschichtsschreibung mit „Herzschläge – Gespräch mit Ex-Militanten der Revolutionären Zellen“ um ein weiteres längst überfälliges Kapitel erweitert. Drei ehemalige Mitglieder der Stadtguerilla Revolutionäre Zellen (RZ) sind im Gespräch mit zwei linksradikalen Aktivist*innen zusammengekommen, um ihre und die Geschichte ihrer ehemaligen Organisation zu reflektieren.

Die RZ existierten ab 1973, verübten knapp 200 Sprengstoff- und Brandanschläge sowie weitere militante Aktionen und lösten sich ab 1992 auf. Im Gegensatz zu RAF und Bewegung 2. Juni bewegten sich ihre Mitglieder nicht im Untergrund, sondern führten ihre Aktionen aus der Legalität durch. Viele waren auch in legalen linken Gruppen tätig und aktive Zellen existierten mindestens im Ruhrgebiet, Rhein-Main-Gebiet, in Berlin, Hamburg und sicherlich auch darüber hinaus. Nicht nur ihre Aktionen, sondern auch ihre Papiere und inhaltlichen Stellungnahmen fanden in der radikalen Linken der damaligen Zeit eine große Resonanz. Auch hat – anders als bei der RAF – keine Aktion der RZ den Tod von Menschen zum Ziel gehabt. Die RZ wollten in vielen Fällen das Spielbein sozialer Bewegungen sein und nicht deren Avantgarde. Sie hatten auch nicht – oder nur kurz – die Vorstellung eines militärischen Sieges über das System, sondern der Vermassung ihrer eigenen militanten Praxis mit den Aktivist*innen sozialer Bewegungen. Ihre Aktionsfelder waren u.a. der Internationalismus, die Anti-AKW-Bewegung, die Anti-NATO-Bewegung, der Flüchtlingsbereich u.v.m. Aber sie waren auch eine Organisation und keine soziale oder autonome Gruppe.

Seit der Auflösung ihrer Organisation stand das große Schweigen im Raum, so dass wir bereits das Erscheinen des Buches sehr begrüßten, bevor wir auch nur eine einzige Zeile gelesen hatten. Im Buch selbst wird schönerweise ziemlich offen geredet oder zumindest erfolgreich der Eindruck erweckt. Es geht u.a. um die strategische Bestimmung militanter Politik, Probleme der Staatsfixierung, Avantgardedenken, Patriarchatsdebatten, Tarnung militanter Aktivitäten im Alltag gegenüber nahestehenden Personen, klandestine Organisierung, Verrat, Repression, Antisemitismus, revolutionäre Moral, Verhalten in juristischen Prozessen und warum Anfang der 1990er Schluss war mit den RZ. Es wird also versucht, vieles anzusprechen und zu klären. Vorausgesetzt wird die Haltung, dass Militanz notwendig ist – zum grundsätzlichen warum findet sich nichts im Buch, das sollten potentielle Leser*innen wissen.

Den 215 Seiten Interview folgt noch ein timetable von 1973 bis 1995, wo die letzten Aktionen von RZ und Rote Zora stattfanden. Die Rote Zora war eine feministische Guerilla, die sich ab Ende der 1970er Jahre aufgrund der Patriarchatsdebatten aus den RZ abgespalten hatten, personelle und logistische Kontakte bestanden allerdings offensichtlich weiter. Nach dem timetable werden auf weiteren 50 Seiten sowohl vermeintlich oder real wegweisende Erklärungen der RZ wie auch anderer militanter Gruppen dokumentiert.

Es fällt in dieser Rezension nicht ganz leicht, den Wissensstand der Lesenden einzuschätzen. Eine These des Buches ist nämlich, dass Menschen unter 40 so gut wie nichts über die RZ wissen oder sogar mit dem Namenskürzel nichts verbinden. Dann wäre es verfehlt, jetzt in der Rezension mit Begriffen wie „Entebbe“, „Carlos-Gruppe“ oder „Tarek Mousli“ zu hantieren, weil alles haarklein erklärt werden müsste. Aber für diejenigen, wo es bei diesen Worten sofort klingelt, kann gesagt werden, dass das Buch auch in kritischen Bereichen der RZ-Geschichte eine große Substanz hat. Auch gibt’s Hintergrunderklärungen für diejenigen, die nicht so viel Wissen haben, weil es sie vielleicht bis jetzt nicht so interessiert hat.

Die Interviewer*inn(?)en hätten erklären können, warum sich keine Frau aus den RZ oder den Zoras für dieses Gespräch bereitgefunden hat, aber das mindert den Wert dieses Buches in keinster Weise. Ebensowenig wie die Tatsache, dass hinsichtlich der Genauigkeit bei den historischen Daten sowohl im Gespräch wie im timetable etwas mehr Lektorat gut und nicht schlecht gewesen wäre – das sind Petitessen.

Dieses Buch gehört jedenfalls unserer Auffassung nach in jedes linke Bücherregal und es war überfällig, dass sich – und seien es lediglich drei aus dem Kreis – die RZ zu ihrer Geschichte bekennen und einiges (er)klären. Besser spät als nie.


Unsichtbare (Hg.): „Herzschläge. Gespräch mit Ex-Militanten der Revolutionären Zellen„, Januar 2022, Assoziation A, 304 Seiten, Paperback, 19,80 Euro


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