50 Jahre 68
50 Jahre 68 – und wieder wird viel darüber geredet. Da der größte Teil der Sekundärliteratur jedoch eher in verleumderischer Absicht verfasst ist, schlagen wir vor, sich ’68 durch Originaltexte zu nähern und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Gerade Johannes Agnolis „Transformation der Demokratie“ ist in abermaligen Groko-Zeiten aktueller denn je.
Agnoli, Johannes: Die Transformation der Demokratie und verwandte Schriften
Johannes Agnoli beschreibt in seiner berühmten Schrift den Prozess der Involution demokratischer Staaten, Institutionen und Parteien in antidemokratische Formen, eine Rückbildung der bürgerlichen Demokratie zu mehr Herrschaft, Unterwerfung und Kapitalabhängigkeit des Staats, die Entwicklung zu einem autoritären Staat. „Agnolis Traktat ist ein kleines Meisterwerk – bei aller Bedrücktheit und Erbitterung lacht man bei der Lektüre oft hell auf über die Präzision und Eleganz, mit der er wieder ins Schwarze trifft“, urteilte Sebastian Haffner 1968 in der Zeitschrift „Konkret“. Agnolis Analyse des Staates, der den „objektiven Zwangscharakter der Reproduktion“ garantiert, und das überzeugende Ergebnis seiner Studie haben auch heute noch nichts an Aktualität verloren.
Marcuse, Herbert: Der eindimensionale Mensch
„Die gegenwärtige industrielle Zivilisation beweist, daß sie die Stufe erreicht hat, auf der die freie Gesellschaft in den traditionellen Begriffen ökonomischer, politischer, und geistiger Freiheit nicht mehr angemessen bestimmt werden kann; nicht weil diese Freiheiten bedeutungslos geworden sind, sondern weil sie zu bedeutsam sind, um auf die traditionellen Formen begrenzt zu bleiben. Entsprechend den neuen Fähigkeiten der Gesellschaft bedarf es neue Weisen der Verwirklichung. Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch
Meinhof, Ulrike M.: Die Würde des Menschen ist antastbar
Die wichtigsten Texte Ulrike Meinhofs sind ein Beispiel von entschiedenem Journalismus, der nicht vor den Höhen der Macht skandiert, sondern den politischen Widerspruch aufzufinden versteht, und zugleich ein Abriss deutscher Nachkriegsgeschichte: Sie analysieren die Unfähigkeit der Verarbeitung des Nazismus und die eilige Rekonstruktion der Macht, sie beschreiben das Verkümmern der Demokratie am Fall des Einzelnen – seine Würde wird antastbar.
Reinicke, Helmut: Rudi Dutschke
Am 11. April 1968 wurde Rudi Dutschke, die Symbolfigur der antiautoritären Bewegung, und neben Hans-Jürgen Krahl der theoretische Kopf der Außerparlamentarischen Opposition, auf dem Kurfürstendamm von dem 24-jährigen Josef Bachmann niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt. Bachmann sagte nach seiner Festnahme: „Ich möchte zu meinem Bedauern feststellen, dass Dutschke noch lebt. Ich hätte eine Maschinenpistole kaufen können. Wenn ich das Geld dazu gehabt hätte, hätte ich Dutschke damit zersägt.“ Bachmann hatte seine Schießausbildung von dem NPD-Mitglied Wolfgang Sachse erhalten und enge persönliche Kontakte zu Mitgliedern der späteren Wehrsportgruppe Hoffmann. Die auf das Attentat folgenden bundesweiten Proteste, insbesondere gegen den Springer-Verlag, erschütterten tagelang die Republik. Rudi Dutschke erholte sich nie mehr völlig von den Schusswunden und starb am 24. Dezember 1979 in Dänemark an den Spätfolgen des Attentats. Der Sozialforscher und Philosophie-Professor Helmut Reinicke, einer der Weggefährten von Rudi Dutschke, über den frühen Dutschke und die Bedeutung von Hans-Jürgen Krahl – in diesem zwölften Band der Bibliothek des Widerstands.
Brückner, Peter: Ungehorsam als Tugend
Peter Brückner, Antifaschist und nach Kriegsende Mitglied der KPD, wurde 1972 und 1977 wegen des Vorwurfs von Kontakten zur RAF sowie der Herausgabe des anonymen „Mescalero“-Textes „Buback. Ein Nachruf“ von seinem Lehrstuhl für Psychologie an der Universität Hannover suspendiert.
Seine politisch-psychologischen Analysen sind ein Zeugnis für die Streitbarkeit der 68er. Diese Auswahl zeigt aber auch, dass Brückners Positionen durch ihre begriffliche und intellektuelle Schärfe noch heute große Schlagkraft besitzen und neuralgische Punkte auch demokratischer Gesellschaften treffen: Vorurteil, Mitläufertum, Zivilcourage, Gehorsam.
Eine Auswahl der wichtigsten Texte Peter Brückners.
Hanloser: Lektüre und Revolte
Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Revolte von 1968 bietet das Buch eine kritische Aufbereitung der wichtigsten Literatur der außerparlamentarischen Opposition des vergangenen Jahrhunderts.
Reich, Wilhelm: Die sexuelle Revolution
Um die revolutionäre Sexualgesetzgebung für alle Zeiten zu sichern, ist es unerläßlich, die Sorge für die sexuelle Gesundheit der Bevölkerung den Urologen und alten Hygieneprofessoren zu entreißen.
Notz, Gisela: Warum flog die Tomate?
Die autonomen Frauenbewegungen der Siebzigerjahre
Agnoli, Johannes: 1968 und die Folgen
Der Band versammelt Texte zur 68er-Revolte aus drei Jahrzehnten, in denen sich Agnoli oft kritisch, jedoch nie distanzierend dem Gegenstand seiner Betrachtung nähert – denn, wer „mitgemacht, mitgetragen, mitgenossen hat und nicht nur in der Form der Sympathie dabei war, sieht keinen Grund, sich von ihr zu distanzieren“
Adorno, Theodor W.: Erziehung zur Mündigkeit
Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959-1969
Horkheimer, Max , Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung
Noch während des Zweiten Weltkriegs in den Vereinigten Staaten entstanden, 1947 als Buch erschienen, mit der Neuausgabe von 1969 endgültig zum einflussreichsten Werk der „Frankfurter Schule“ geworden
Ditfurth, Jutta: Rudi Dutschke und Ulrike Meinhof
Geschichte einer politischen Freundschaft
Hg. Jaspers, Anke; Michalski, Claudia; Paul, Morton : Ein kleines rotes Buch
Diese Anthologie schildert die Entwicklung der „Mao-Bibel“ zum ultimativen revolutionären Accessoire.
Fichter, Tilman P., Lönnendonker, Siegward: Geschichte des SDS
Der Sozialistische Deutsche Studentenbund 1946-1970
Gilcher-Holtey, Ingrid: Die 68er Bewegung
Deutschland, Westeuropa, USA
Negt, Oskar: Werkausgabe, Bd.3, Politik als Protest
Dieser Sammelband umfasst eine Vielzahl von Aufsätzen Oskar Negts zur Protestbewegung und kam 1971 als Raubdruck in Umlauf.
Siegfried, Detlef : 1968 Protest, Revolte, Gegenkultur
Detlef Siegfried zeigt, welche gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Ereignisse schon im Vorfeld nötig waren, damit die Revolte der Schüler, Studenten und Lehrlinge Fahrt aufnehmen konnte. Dabei lässt er nicht nur die Gegenkultur in Großstädten wie Berlin oder Frankfurt am Main wieder aufleben, sondern rückt auch Schauplätze aus der bundesrepublikanischen Provinz ins Rampenlicht. Doch wie viel revolutionäre Dynamik ließ sich in die „roten“ Siebzigerjahre hinüberretten? Und was wurde eigentlich aus all den Linken?
Frei, Norbert: 1968
Jugendrevolte und globaler Protest. Die Chiffre „68“ steht für ein Jahrzehnt der Rebellion. Nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in ganz Europa und rund um den Globus erhob sich damals eine kritische Jugend, einen kurzen Sommer lang sogar hinter dem Eisernen Vorhang.
von Hodenberg, Christina: Das andere 68
Gesellschaftsgeschichte einer Revolte
Anhand von erstmals ausgewerteten neuen Quellen erschüttert Christina von Hodenberg die alten Gewissheiten und zeigt das andere Achtundsechzig jenseits der immer wieder erzählten Legenden.
Sonnenberg, Uwe: Von Marx zum Maulwurf
Linker Buchhandel in Westdeutschland in den 1970er Jahren
Debord: Die Gesellschaft des Spektakels und andere Texte
Zeit seines Lebens galt Guy Debord als »Geheimagent der Subversion«. 1957 hatte er entscheidenden Einfluß auf die Gründung der Situationistischen Internationale. 1967 löste die SI den Skandal von Straßburg aus, der im Mai 68 zum Generalstreik führte.
Kätzel: Die 68erinnen. Porträt einer rebellischen Frauengeneration
Ute Kätzel stellt in anschaulichen lebensgeschichtlichen Porträts vierzehn 68erinnen vor, darunter Filmemacherinnen, Künstlerinnen und Autorinnen wie Helke Sander und Sarah Haffner, ehemalige Aktivistinnen wie Gretchen Dutschke oder die frühere Asta-Vorsitzende der Freien Universität Berlin, Sigrid Fronius.
Gehrke/Horn: 1968 und die Arbeiter. Studien zum „proletarischen Mai“ in Europa
Dieser Band beinhaltet 13 Fallstudien zum Wechselverhältnis von Arbeiter- und Studentenbewegung in ost- und westeuropäischen Ländern sowie eine Einführung zum europäischen Vergleich.
Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau
„Man ist nicht als Frau geboren, man wird es.“ Auf deutsch erstmals 1951 veröffentlich, gilt das Buch als ein Grundlagenwerk der zweiten Welle des Feminismus.
Kirchner/Kollontai: Autobiographie einer sexuell emanzipierten Kommunistin (1926)
Autobiographie der russischen Revolutionärin und späteren Diplomation Alexandra Kollontai. Barbara Kirchner, Professorin für Theoretische Chemie an der Universität Leipzig führt die Leser*innen in das Werk ein und stellt dabei prägnant heraus, wie wichtig auch heute noch die Auseinandersetzung mit diesem ‚Urtext‘ der Frauenbewegung ist.
Guevara: Bolivianisches Tagebuch
Es war eine Angewohnheit Ches während seines Lebens als Guerillero, seine Beobachtungen an jedem Tag sorgfältig in einem persönlichen Tagebuch aufzuzeichnen.
Dutschke: Geschichte ist machbar. Texte über das herrschende Falsche und die Radikalität des Friedens
Dieser lange vergriffene Band, von Dutschke selbst geplant, zeigt den intellektuellen und den politischen Weg dieses eigenständigen Denkers zwischen zwei deutschen Staaten und vielen Dogmatismen.
Krahl: Konstitution und Klassenkampf. Zur historischen Dialektik von bürgerlicher Emanzipation und proletarischer Revolution.
Schriften, Reden und Entwürfe aus den Jahren 1966-1970
Bloch: Das Prinzip Hoffnung
Der Philosoph formulierte hier seine Hoffnung auf eine Welt, in der die Entfremdung des Menschen von Gesellschaft und Natur überwunden sein wird.
Reich: Die Massenpsychologie des Faschismus
1933 erschien Reichs Massenpsychologie des Faschismus zum erstenmal. Inzwischen läßt sich eine Kritik des Faschismus (nicht nur des deutschen, sondern der faschistischen Struktur überhaupt) ohne Reich nicht mehr denken.
Meinhof: Bambule. Fürsorge – für wen?
Ulrike Meinhof hatte sich als Journalistin in langen Recherchen ein Bild über die Lage der Mädchen in Erziehungsheimen gemacht.Sie beschreibt die Repressalien der Erzieher und die Befreiungsversuche der Mädchen, die „Bambule“ machen, weil sie leben wollen und nicht bloß sich fügen.
Deppe: 1968: Zeiten des Übergangs. Das Ende des „Golden Age“, Revolten & Reformbewegungen, Klassenkämpfe & Eurokommunismus
Frank Deppe analysiert die Ereignisse des Jahres 1968 im Kontext der damaligen weltpolitischen und ökonomischen Strukturveränderungen aber fragt auch nach der aktuellen Rezeption.
Binger:68 selbstorganisiert & antiautoritär
Lothar Binger schreibt in seiner auführlichen 68er Autobiographie über antiautoritäre Basisarbeit, Wohngemeinschaften, Stadtteilgruppen und Kinderläden. Im Eigenverlag erschienen und nur über den Autor oder klassische Buchläden zu beziehen.
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