Heinz Bude, Bettina Munk, Karin Wieland: Aufprall

Ein Soziologe, eine Künstlerin und eine Schriftstellerin schreiben zusammen einen autobiografisch eingefärbten Roman über ihre Vergangenheit als Hausbesetzer*innen in Westberlin: „Aufprall“ – erschienen bei Hanser. Unsere Einschätzung zum Buch und Hintergrund findet sich in unserer aktuellen Buchbesprechung.

Die Form, mit drei Autor*innen einen Roman kollektiv bzw. wie hier in abwechselnden Kapiteln zu verfassen, erscheint gewagt – und dann über eine mittlerweile fast mythische Zeit: Häuserkampf in Westberlin Anfang der 1980er Jahre.

Chronologie und Texte zum Häuserkampf (Berlin) auf der Homepage zum Buch „Autonome in Bewegungautox.nadir.org 

Viele Aktivist*innen – auch die drei Autor*innen – kommen für einen überschaubaren zeitlichen Rahmen zusammen,  nicht nur in Westberlin, sondern auch in Westdeutschland, der Schweiz, den Niederlanden u.v.m. Eine „Jugendrevolte“ erschüttert das System. Die Besetzer*innen haben im Zeitraffer intensivste Erlebnisse, derart verdichtet, dass zum Atemholen, bzw. Reflektieren die Zeit häufig fehlt. Nicht umsonst heißt die den Häuserkampf begleitende Hymne der Fehlfarben „Keine Atempause – Geschichte wird gemacht“ (externer youtube-Link).

Die damalige Häuserspekulation führte zu erheblichem Leerstand in vielen Altbauten in Westberlin. Nach einer Reihe von Besetzungen beschleunigt die sofortige Räumung einer Neubesetzung am 12.12.1980 die Bewegung enorm. Tagelange Krawalle, Großdemos und eine enorme Legitimationskrise des Westberliner Senats führen dazu, dass im Frühling 1981 161 Häuser besetzt sind. Bis zum Herbst 1981 traut der Senat sich nicht, Häuser zu räumen – die Bewegung ist zu stark.

Die drei Autor*Innen besetzen mit anderen zunächst ein Haus an der südwestlichen Ecke Kreuzbergs und ziehen nach der Räumung in ein anderes dicht an die Mauer in SO36. Sie zählen zu den Nichtverhandler*innen, der Fraktion, die jede Verhandlung mit Staat und Hauseigentümern ablehnt. Der häufig unglamouröse Alltag in den Häusern, die Schwierigkeiten des kollektiven Zusammenlebens, die Fliehkräfte zwischen „Mollis und Müslis“ (Militanten und Friedlichen), Machern und Hängern und vielen mehr wird gut, realistisch, aber auch oft humorvoll beschrieben. Die dargestellten vielen Demos und Kämpfe der Zeit werden vielen, die dabei waren, wehmütige Erinnerungen bescheren. Der Tod von Klaus-Jürgen Rattay am 22.09.1981 (zu den bundesweiten Reaktionen hier mehr) und die schweren stundenlangen Straßenschlachten zum Anlass des Besuchs des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan am 11.06.1982 sind nur zwei Höhepunkte der damaligen Zeit. Aber dies Buch ist kein Autonomen-Roman, sondern beschreibt die Einstellung einer anderen authentischen Fraktion des Berliner Häuserkampfes – eher intellektuell, eher künstlerisch als auf bedingungslosen revolutionären Kampf orientiert. Die fiktiven verdichteten Persönlichkeiten des Romans auch neben den drei Autor*innen stellen das breite Kaleidoskop der Protagonist*innen linker Bewegung der 1980er Jahre dar. Die Beschreibungen sind gut und authentisch, auch oder gerade weil sie nicht immer gefallen, nicht nur sympathisch sind, sondern auch persönliche Brüche beschreiben inklusive des Rückfalles in total geordnete bürgerliche Bahnen durch das Zurückziehen nach Westdeutschland. Aber die, die bleiben, probieren sich weiter aus – experimentieren mit kollektiven Lebensformen, Sexualität jenseits der Zweier-Beziehung, Existenzsicherung jenseits nine-to-five-Jobs und vielem mehr – wenn auch nicht für immer, dann wenigstens für ewig.

Auch die Darstellung von Kreuzberg 36 in den frühen 1980er Jahren ist authentisch. Das Rauhe, Wilde und auch Gewalttätige dieser Zeit erscheint heute fast unvorstellbar in dem relativ glattgeschliffenen Kiez. Damals Sehnsuchtsort vieler junger Zugezogener aus Westdeutschland, für die Alteingesessenen eher Resterampe ohne Zukunft. Vom Kapital waren weite Teile des Kiezes zur Zerstörung freigegeben, noch Mitte/Ende der 1980er Jahre betrug das Durchschnittseinkommen umgerechnet 340,-€. An drei Seiten eingemauert, Randlage in einer Frontstadt, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. In Westberlin lebende Eltern besuchen ihre Kinder nicht in diesem Schmuddelkiez – zu gefährlich, zu dreckig, zu schmutzig, zu migrantisch, zu autonom, zu kreuzberg.

Viele Normalos, die konnten, machten den Abflug in andere Bezirke oder zumindest in einen Neubau mit Heizung und Bad. Migrant*innen, Säufer, Arbeitslose, Alte und Besetzer*innen bildeten den repräsentativen Schnitt in Kreuzberg 36. Weiße deutsche Kinder waren tendenziell kaum vorhanden.

In der Realität bricht das Gewalttätige natürlich hier und da auch heute noch durch, wie erst in diesem Sommer 2021, in dem ehemals besetzten Haus an der ehemaligen Berliner Mauer, von dem der Roman handelt. Damals ungeräumt und schließlich doch nach Verhandlungen legalisiert, heute saniert und in Eigentumswohnungen verwandelt, wird dort der Uraltmieter Peter Hollinger von einer TU-Professorin, der zwei große Wohnungen im Haus gehören, auf Räumung verklagt. Vermittlungen scheitern, Peter begeht angekündigt Suizid. Hintergrund im taz-Artikel: „Trauermarsch gegen Zwangsräumungen: Einfach nur in Ruhe alt werden

Das ungewöhnliche Format mit drei Autor*innen funktioniert – auch wenn es inhaltliche Brüche gibt und der/die jeweilige Autor*in immer identifizierbar ist. Überflüssige Längen hat das Buch zwar auch, der längere New York Aufenthalt einer Hauptprotagonistin und ein traumatischer Unfall in der damals realsozialistischen CSSR fallen aus dem sonstigen Handlungsrahmen. Dennoch sehr lesenswert – nicht nur für diejenigen, die dabei waren.

Heinz Bude, Bettina Munk, Karin Wieland : „Aufprall“ September 2020, Hanser Literatur Verlage, 384 Seiten Harcover, 24 Euro

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