150 Jahre Pariser Commune
Vive la Commune!
Am 18. März 1871, vor 150 Jahren tat sich in Paris eine revolutionäre Bewegung zu einer Selbstverwaltung zusammen, die als „Pariser Commune“ in die (linke) Geschichtsschreibung einging. Die französische Armee unter Napoleon III war im Krieg gegen den Norddeutschen Bund unterlegen, Paris von deutschen Truppen belagert. In den proletarischen Vierteln rund um Montmartre herrschte Armut, Hunger, Brennholzmangel, Typhus – aber auch Aufbruchstimmung gegen die Obrigkeit. Die gerade eingesetzte reaktionär-monarchistisch-bürgerliche Regierung verhandelte mit den Deutschen – und wollte die von der Bevölkerung finanzierten Kanonen aus Paris abziehen. Die kurz zuvor aus Teilen der Bevölkerung gebildete Nationalgarde und viele Frauen aus den Stadtvierteln wehrten sich daraufhin gegen ihre Entwaffnung.
Die Verwaltung und Bewaffnung wurde kurzerhand in die eigene Hand genommen, das Zentralkomitee der städtischen Nationalgarde übernahm das Amt einer provisorischen Regierung, auf dem Rathaus wurde die rote Fahne gehisst. Die verhasste Regierung floh nach Versailles und verschanzte sich dort. Beteiligt am Aufstand, der zur Pariser Commune führte, waren Handwerker*innen, Soldaten, Arbeiter*innen, Aktivist*innen. Am 26. März fanden Wahlen zum Commune-Rat statt, den letzendlich viele linke, sozialistische und anarchistische Ideen dominierten. Der Anspruch reichte von sozialreformerischen Ansichten bis zum Ideal einer befreiten Gesellschaft: es gab Dekrete über den rückwirkenden Erlass von Mieten und gepfändeten Gegenständen, Arbeitsrechtsreformen, Kollektivierungen von verlassenen Fabriken und Kirchengütern, Abschaffung der Wehrpflicht, Initiativen zu Bildungs- und Sozialpolitik und Geschlechtergleichstellung, den Aufbau demokratischer und selbstverwalteter Räte-Strukturen, sowie die erklärte Trennung von Kirche und Staat. Sowohl an den Debatten, dem Aufbau der Selbstverwaltungsstrukturen und in den Kämpfen waren sehr viele Frauen aktiv, präsent und organisierten sich in eigenständigen Gruppierungen wie der „Union des femmes“.
Nach 72 Tagen wurden die Kommunard*innen nach Artilleriebeschuss der Stadt und schließlich blutigen Barrikaden- und Häuserkämpfen durch die reaktionären französischen Truppen, oft in Gestalt aufgehetzter Soldaten, besiegt. Zehntausende kamen bei den Kämpfen ums Leben oder wurden hingerichtet, weitere zu Gefängnis und Verbannung verurteilt.
Kurz nach der diesem blutigen Mai-Tagen veröffentlichte Karl Marx „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ (MEW Band 17) als Erklärung des Generalrats der 1. Internationale und analysierte darin die Kämpfe der Kommunard*innen gegen die Bourgeoisie.
Die Erinnerung an den Versuch einer befreiten Gesellschaft, an eine Sozialrevolte blieb und soll unter anderem durch unsere kleine Buchauswahl wachgehalten werden. Ganz unten befinden sich noch einige weiterführende Links zum Thema – sowie Chansons der Commune von „Le Cri du Peuple“ und den „Schmetterlingen“ zum nebenbei Hören, wer möchte.
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Wir wünschen wie immer aufschlusreiche Lektüre!
Unsere Buchtipps zu 150 Jahre Pariser Commune:
Wir freuen uns z.B. über Bücher, die das Leben der Kommunardin Louise Michel wieder auferstehen lassen: Besonders schön gestaltet und gut editiert ist die neue Übersetzung ihrer Texte in „Die Pariser Commune“ vom Mandelbaum-Verlag. Hier wurden Louise Michels Erinnerungen, die sie 1895 fertigstellte, mit historischen Fotos und einem ausführlichen Glossar versehen. Die historische Herleitung und Einordnung der Ereignisse durch Michel sind lesenswert und erhellend – beeindruckend ist, wie sie in Alltagszenen ihren Mitkommunard*innen ein wunderbares Denkmal setzt.
Florence Hervé hat schon viele schöne historische Frauenbiographien herausgegeben, im Dietz-Verlag erscheint diesen März in der Reihe ‚Biographische Miniaturen‘ der Titel: „Louise Michel oder: Die Liebe zur Revolution„. Der Dietz-Verlag erinnert mit dieser Biographie an den beeindruckenden Kampf der Frauen in der Pariser Commune um bis dahin unerhörte Rechte wie Lohngleichheit, die Zulassung zum Studium oder die Gleichstellung unehelicher Kinder. Eine Lesereise zum Buch ist geplant – am 18.März 2021 wird das Buch in einem Video vorgestellt: „AUF DIE BARRIKADEN! Frauen der Pariser Commune“ mit der Autorin Dr. Florence Hervé.
Wer oder welche sich dem Leben Louise Michels lieber in einem romanartigen Biographie nähern möchte, empfehlen wir „Louise Michel. Die Anarchistin und die Menschenfresser“ aus dem guten bahoe-Verlag. Die Autorin Eva Geber nimmt auch die Zeit der Verbannung in Neukaledonien und Michels Kontakt mit der dortigen indigenen Bevölkerung in den Fokus.
Eine weitere authentische Perspektive aus der Zeit der Pariser Commune liefert Suhrkamp mit „Geschichte der Commune von 1871. Unveränderter Nachdruck der deutschen Übersetzung aus dem Jahre 1877“ Der Augenzeuge Prosper Lissagaray, der selber auf den Barrikaden gekämpft hatte, schrieb später im Exil in London eine Chronik des Aufstands, u.a. auf Aufforderung durch Karl Marx, den er dort traf.
Der neue tolle Band „Die Kommunen vor der Kommune 1870/71. Lyon – Le Creusot – Marseille – Paris“ von Christopher Wimmer und Detlef Hartmann ordnet die Pariser Commune in eine reiche Vorgeschichte von sozialrevolutionären Klassenkämpfen ein und legt deren „sozialrevolutionäre Spuren frei“ (Assoziation A). So hatten z.B. die zwei großen Metallarbeiterstreiks in Le Creusot viele Arbeiter*innen politisiert, deren Erfahrungen später auch in die Pariser Selbstverwaltung einflossen.
In der prima Reihe Basiswissen ist inzwischen in 3. Auflage „Die Pariser Commune“ von Florian Grams bei Papyrossa erschienen – eine historische Einleitung, die sich anhand von Quellen und mit Fokus auf die Geschichte Frankreichs und
der Arbeiterbewegung auf die großen Linien bezieht, aber auch auf den Einfluss, den diese radikaldemokratische Selbstregierung auf die Linke und den Marxismus hatte.
Mit vielen historischen Quellen wie Prozessberichten, Briefen und Tagebücher, Sitzungsprotokollen und Zeitungsartikeln arbeitet der ehemalige Frankreich-Korrespondent der FAZ Thankmar Freiherr von Münchhausen in seinem Buch „72 Tage. Die Pariser Kommune 1871 – die erste „Diktatur des Proletariats“ (DVA). Er lässt viele, auch reaktionären Stimmen zu Wort kommen und zitiert ausführlich aus den hitzigen internen Debatten der Kommunard*innen über ihre Strategie – ein fakten- und detailreiches Werk.
Schauen wir auf die politischen Inhalte und die Ideengeschichte: Der Matthes&Seitz Verlag hat Kristin Ross‘ Essay „Luxus für alle. Die politische Gedankenwelt der Pariser Kommune“ von 2015 ins deutsche übersetzt, eine Untersuchung über die politisch-historische Nachwirkung der Pariser Commune und die Genealogie des anarchistischen Kommunismus. Sie untersucht die Praxis der Kommunard*innen und geht auch näher auf die Debatten in den republikanischen Clubs und der „Union des femmes“ ein. Klasse Input für linke Debatten heute!
Weiterführende Links:
Podcast:
Sehr hörenswert fanden wir diesen Podcast von Dissens, in dem der Historiker Florian Grams und die Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp über den Blick auf die Geschichte der Pariser Commune und die Bedeutung für heutige linke Debatten diskutieren; Der Podcast wird toll moderiert von Lukas Ondreka, der die Beteiligten am Ende in eine klasse Debatte zwischen „Team Anarcho“ und „Team Kommie“ führt:
Tagungen/Konferenzen:
Am 18.3.21 ab 17h gibt es bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung ein reichhaltiges Programm zu 150 Jahre Pariser Commune:
Auch im Literaturforum im Brechthaus gibt es vier Tage lang Programm: das FUNKHAUS COMMUNE geht am 18. März 2021 für vier Tage auf Sendung
Ausstellung zu 150 Jahre Pariser Commune:
gestaltet vom Arbeitskreis 150 Jahre Pariser Kommune mit den schönen Worten:
Auf jeden Fall wollen wir nicht, dass die Herrschenden uns zweimal schlagen. Einmal auf der Straße und einmal durch die Vernichtung des geschichtlichen Bewusstseins. Wir sind die Erb*innen der Pariser Kommune.
Pariser Commune im Film:
Es gibt einen sehr schönen kleinen Erklärfilm darüber, was die Pariser Commune war aus der Sendung Karambolage von Arte, den wir sehr gut gemacht finden:
Chansons aus der Commune
verlinken wir unten in den Videos, unterlegt mit den Bildern der leider vergriffenen Graphic Novel Le Cri du Peuple / Jacques Tardi / Jean Vautrin: „Die Macht des Volkes. Band 1: Die Kanonen des 18. März“
Außerdem politisches Musiktheater: das Kapitel „Die Pariser Kommune“ vom Album „Proletenpassion“ der Schmetterlinge aus einer ORF-Produktion von 1978 – das Buch „Proletenpasion ff.“ über eine Neufassung dieser Art „Geschichte von unten“ ist leider ebenfalls vergriffen…