Als deutschsprachiger linker Buchblog sind Besprechungen zum Bereich Rechtsextremismus nun mal ein Muss. Die vielen Neuerscheinungen dazu sind ja leider auch ein Ausdruck davon, dass es hier so viel zu analysieren gibt. Wir fischen uns hin und wieder eine Neuveröffentlichung heraus, die uns vielversprechend und aufklärerisch erscheint. Dazu gehört heute das Buch der Journalistin und im honorigen Bereich ‚Faktencheck‘ arbeitenden Karolin Schwarz: „Hasskrieger. Der neue globale Rechtsextremismus“, Herder Verlag.
Die Autorin und auch als Faktencheckerin aktive Karolin Schwarz hat u.a. die Internetseite hoaxmap.org mitgegründet, wo Fakes über Geflüchtete analysiert und aufgeklärt werden. Auch das hier vorliegende Buch betreibt Aufklärung im besten Sinne. Wer und welche bisher dachte, rechte Inhalte im Netz sind zwar ärgerlich und bekämpfenswert, aber eben nur Ausdruck des entsprechenden Anteils rechter Haltungen oder Wähler*innen, sollte bei Karolin Schwarz nachlesen. In ihrem gut recherchierten Sachbuch erläutert die Online-Expertin, wie sich der nationale und globale Rechtsextremismus aktiv online organisieren.
Orchestrierter Hass
Ein Großteil der digitalen Hetze, Fakenews, Verschwörungsideologien, Anprangerungen, Verdrehungen, Aufrufe und Kampagnen sind orchestriert. Und das meint eben nicht, dass einige wenige Strippenzieher alle Inhalte dirigieren – der Prozess ist um vieles komplexer. Schwarz zeigt an vielen Beispielen, dass es erklärtes Ziel sowohl rechtsextremer Parteien wie der NPD, aber auch rechter Einzelpersonen, Thinktanks und Gruppierungen war und ist, Stimmungsmache zu betreiben, die eigene Szene zu vernetzen, zu rekrutieren und zu radikalisieren. Sie illustriert ausführlich, dass konzertierte Hassaktionen schon seit den Frühzeiten des Internets betrieben wurden. Aber auch das Kapern von Leserbrief-Foren wird bereits aus dem Jahr 2000 beschrieben, als ein antirassistisch intendiertes Online-Forum der Zeitschrift „Stern“ zum rassistischen Mord an Alberto Adriano in Dessau mit rechten und rassistischen Statements geflutet wurde, um vom Opfer ab- und zu scheinbarer „Überfremdung“ hinzulenken.
Ziel ist neben der Festigung der eigenen Reihen immer, massiv inhaltliche ideologische Präsenz zu zeigen, den Diskurs nach rechts zu verschieben und Linke aus den Debatten rauszuekeln. Dabei wird sich ganz bewusst der sogenannten „liberalen Scheißerchen“ und „Toleranztrottel“ bedient: Linke Akteur*innen werden konzertiert angegriffen, wenn diese sich wehren, sollen sie isoliert werden. Mithilfe liberaler Akteur*innen, eben der „Toleranztrottel“ soll die „Freiheit der Netze“ unter der Parole der „Meinungsfreiheit“ verteidigt werden – mit dem Effekt, dass linke Positionen aus dem Netz gedrängt werden.
Ideologische Diskurs- und Hegemoniepolitik ist also ein Projekt, dass die extreme Rechte sehr frühzeitig im Netz betrieb. Die meisten anderen großen politischen Parteien hatten oft kaum oder wenig Internetpräsenz, da war die NPD schon längst sehr aktiv im Netz und stellte z.B. kleineren Ortsgruppen viel Material und auch Internetseiten zur Verfügung. Auch rechte Kleinstparteien und aktuell die AfD war und ist online viel aktiver als andere Parteien und hat heute eine große digitale Fangemeinde – nicht nur, aber auch hergestellt mittels künstlicher Unterstützer*innenschaft durch FakeAccounts.
Verbreitung im Netz
Viele der Online-Aktiven wähnen sich im Krieg, die anderen liefern den Nährboden durch Normalisierung und Verbreitung menschenverachtender Ideologien – der Buchtitel „Hasskrieger“ ist daher treffend gewählt. Da Wut und Hass in der Aufmerksamkeits- und Sichtbarkeitslogik sozialer Netzwerke am erfolgreichsten funktionieren, braucht es oft nur wenige, die in Foren etc. aktiv sind oder es werden – der Erfolg stellt sich meist prompt ein und motiviert, weiterzumachen. Und an diesem Punkt können sich die Initiator*innen schon meist zurück ziehen (und neue Kampagnen vorbereiten) – die rechte Netzgemeinde ist selbst aktiv geworden und wird belohnt und angespornt durch den Erfolg vieler Likes, Retweets und Reposts.
Schwarz hat sich Tipps und Anleitungen für rechte Follower*innen oder Unterstützer*innen, die beraten, wie Social-Media-Profile anzulegen sind, genau angesehen: möglichst erst moderat, mit viel Humor, nicht mit offenem Visier. Erst kurz vor Wahlen gilt es, deutlich zu werden, danach am besten wieder mit einem neuem Profil starten. In Zeiten der massiven Propaganda gegen Geflüchtete und gegen Vertreter*innen einer nicht-restriktiven Flüchtlingspolitik schossen auf Facebook zig Seiten besorgter Bürger*innen empor. Es brauchte nicht viel eigenen Input, hasserfüllte und rassistische Inhalte wurden vielfach geteilt, mit ‚witzigen‘ Bildern aufgemotzt und machten so ihre Runde, ebenso Fakenews. Auch hier lässt sich ein sich selbst bestärkender Schneeballeffekt beobachten: die eigenen Themen und Parolen immer und immer wieder wiederholen funktioniert offenbar auch deshalb, weil andere liberale, linke, humanistische Inhalte nicht mit der gleichen Intensität ins Netz geflutet werden.
Die AfD definiert darüber hinaus klare Zielgruppen und relevante Kernthemen, denen sich ihre Unterstützer*innen widmen sollten. Dies tun sie sowohl in Diskussionsforen großer und kleiner Tageszeitungen aber z.B. auch in Kommentaren unter YouTube-Videos. Wegen zunehmender Sperrungspolitik in manchen Online-Foren entstehen von rechts einerseits Kampagnen für „Meinungsfreiheit“, aber auch eigene parallele Kommunikationsstrukturen außerhalb der großen Plattformen. Dies gilt es wegen der dort oft noch größeren Radikalisierung in den Blick zu nehmen, genauso wie die Finanzierungsströme und Unterstützer-Szene, der Schwarz ebenfalls ein Kapitel widmet (z.B. rechte Online-Shops).
Die Expertin macht auch für weniger netz-affine Leser*innen gut verständlich, wo und wie Drohungen gegen Demokrat*innen, Feministinnen und Linke im Netz entstehen und verbreitet werden. Für diejenigen, die sich selber viel im Netz bewegen findet sich ebenfalls tiefergehender Input über Hintergründe und Mechanismen – lesens- und nachdenkenswert.
Karolin Schwarz: „Hasskrieger. Der neue globale Rechtsextremismus„, 2020, Herder-Verlag, 224 Seiten gebunden, 22 Euro
Links-Lesen.de-Kollektiv im September 2021