Jean Peters: „Wenn die Hoffnung stirbt, geht’s trotzdem weiter„
Das Peng-Kollektiv existiert seit vielen Jahren und hat sich immer mit spektakulären Aktionen hervorgetan, sei es im Klimabereich, im Datenschutz oder gegen die Waffenindustrie, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Das Peng-Mitglied Jean Peters hat jetzt ein interessantes Buch über die Geschichte des Peng-Kollektivs und seine Kampagnen geschrieben. Und schon dürfte bei einigen Leser*innen das erste virtuelle Fragezeichen vor den Augen erscheinen – Kollektiv und dann ein Einzelautor? Warum und wieso? Dazu später mehr….
Seit den 1980er Jahren hat die Linke in (West-) Europa ihren Aktionsrahmen um das Mittel der Kommunikationsguerilla erweitert. Hier sind häufig nicht viele Akteur*innen erforderlich, teilweise reicht eine Handvoll Aktivist*innen aus. Früher konnte es um gefälschte amtliche Flugblätter gehen, die in die Briefkästen verteilt wurden (für die Verteilung brauchte es natürlich viele Menschen), in denen eine reale oder auch fiktive Behörde mit absurden Begründungen zu noch absurderen Verhaltensweisen aufforderte. Garniert mit einer korrekten behördlichen Telefonnummer konnte dies doch zu ungewohnten Tagesabläufen im Amt führen. Auch in den NOlympia-Kampagnen in Amsterdam (Mitte 1980er) und Berlin (Anfang 1990er) kamen diverse Mittel der Kommunikationsguerilla zum Einsatz. So wurden u.a. die IOC-Mitglieder brieflich im Namen der Olympia-GegnerInnen ganz offiziell mit einem US-Dollar bestochen, damit sie Berlin nicht als Austragungsort wählen. Sollten sie dieses Ansinnen ablehnen, wurde um Rücksendung des Dollarscheins gebeten. Ganze sechs IOC-Mitglieder schickten den Schein zurück – schon konnte mensch wieder prima Presseerklärungen verfassen.
Das Peng-Kollektiv hat diese Formen perfektioniert und meisterhaft praktiziert. Eine gefakte Pressekonferenz im Foyer des Vattenfall-Konzerns, in der falsche Vorstandsmitglieder den Ausstieg aus der Kohleverstromung bekannt geben, das „torten“ von Beatrix von Storch (AfD) während eines Parteitreffens in einem Hotel durch einen Fake-Kellner, das Kapern einer Shell-Veranstaltung, auf der junge Wissenschaftler*innen innovative Produkte vorstellen sollten – dies alles und noch viel mehr wird in diesem Buch locker flockig aber auch politisch begründet beschrieben. So weit – so sehr gut.
Relativ schnell beschlich uns aber die Frage, für wen dieses Buch eigentlich geschrieben ist. Die Leser*in wird gesiezt, erschienen ist es beim Fischer-Verlag, der bisher nicht unbedingt als explizit linker Verlag bekannt ist. Es wird nach dem Motto „Wahlen werden in der Mitte gewonnen“ auf ein breiteres Publikum geschielt. Das Buch ist für die Perspektive einer sympathisierenden liberalen Bürger*in vermutlich perfekt geschrieben. Wie die Arbeit in einem Kollektiv untereinander aussehen sollte, wie der Falle des Paternalismus entgangen werden kann (rechtzeitige Einbindung von direkt Betroffenen), die Reflexion von Privilegien, Umgang mit Sexismus und Patriarchat undundund wird in verständlichen Worten und Darstellungen überzeugend erklärt. Für die oben erwähnte Bürger*in erfolgt in regelmäßigen Abständen namedropping bekannter Persönlichkeiten, mit denen der Autor entweder in Verbindung steht, diese kennen gelernt hat, oder spontan in Debatten verwickelt hat etc. Also Politik von unten für die gute Sache mit Hippness- und Promifaktor. Kann mensch natürlich so schreiben – keine Frage – aber die Gefahr so etwas zu überreizen ist natürlich immanent und die Grenzen hierbei sind individuell sehr unterschiedlich.
Leichte bis mittelschwere Fragezeichen hatten sich bei uns demnach schon gebildet, bevor das Peng-Kollektiv Mitte Juni eine Art Auflösung bekannt gab und dabei explizit das Buch und das Verhalten des Autors in den Mittelpunkt der Begründung stellte. Wir wollen das nicht weiter kommentieren, weil uns dazu viel zu viele Fakten nicht bekannt sind.
Dieses Buch ist dennoch an vielen Punkten sehr unterhaltsam zu lesen. Es ist allerdings mit Sicherheit kein Leitfaden zur Nachahmung, an dem sich andere orientieren könnten. Die beschriebenen Aktionen sind in keinster Weise allgemein reproduzierbar und für alle Gruppen zugänglich. Jedes Mal braucht es in der Regel nicht nur eine Spezialist*in für fortgeschrittene Computertechnologie, ein hohes Maß an kulturellem Kapital, einen Haufen Geld, gute juristische Beratung, Pressekontakte – insgesamt ist viel viel Logistik nötig. Massentauglich sind die Aktionen des Peng-Kollektivs leider nicht. Es ist anscheinend viel Spezialist*innentum nötig, um solche Aktionen kreieren zu können.
Und es gibt eben auch ärgerliche Sequenzen. Allgemeine intellektuelle Reflexionen über Politik und Kunst an und für sich stellen nicht viel mehr dar, als vermeintlich überlegenes Wissen darzustellen. Mindestens die Aktion „Ausstiegstelefon für Geheimdienstler“ steht unter erheblichen Hybris-Verdacht. Der ganze Promi-Kram ist ebenfalls überflüssig, weil er nichts aussagt, außer den tollen Kontakten des Autors.
Warum dieses Buch nicht kollektiv verfasst worden ist, wird leider auch an keiner Stelle erklärt.
Wir sagen: Leicht abgehoben, dennoch amüsant an einigen Stellen.
Links-Lesen.de-Kollektiv im August 2021