Davide Longos Bücher spielen im Piemont, die Sprache ist lakonisch, die Atmosphäre oft schweigsam und gebirgig. Es sind fatalistische ‚Krimi noir‘-Romane mit einem Hang, dem Leben ausgeliefert zu sein und semi-depressivem setting. Der italienische Autor legt jetzt seinen zweiten Band mit den beiden Protagonisten Bramard und Arcadipane vor. „Die jungen Bestien“ stehen im März 2020 auf Platz 3 der DLF-Kultur-Krimibestenliste und das nicht zu Unrecht.

Das bei Rowohlt herausgegebene Buch ist keinesfalls Dutzendware oder eine schlappe Kopie bestehender Krimisujets. Ein klarer eigener Stil zeichnet Longo aus. Vieles wird antizipiert, wo andere Autor*innen eine halbe Seite mit Dialog füllen, schreibt Davide Longo häufig nur zwei Sätze. Schlussfolgerungen müssen häufig selbst gezogen werden. Die Bücher sind aber keine Denksportaufgaben, sondern offenbaren einen leicht gewöhnungsbedürftigen Schreibstil.Sie ähneln den Apennin-Krimis der norditalienischen Autoren Loriano Macchiavelli und Francesco Guccini.

Ein neuer Roman der beiden „Die Spur der Wölfe“ soll im Juni bei btb erscheinen!

Bramard ist ein schwer traumatisierter Ex-Bulle, dessen Frau vor langer Zeit von einem Psychopathen ermordet wurde, und auch Bramards Tochter verschwand in diesem Zusammenhang. Die Parallelen zum Dortmunder Tatort Kommissar Faber lassen grüßen. Danach quittierte Bramard den Polizeidienst und schlägt sich seitdem als Lehrer durch. Bramard ist – wie der Autor auch – passionierter Bergsteiger und unternimmt halsbrecherische Touren, denn für ihn stellt sich nach dem Tod seiner Frau und dem Verschwinden seiner Tochter die Frage nach dem Sinn des Lebens ganz anders. Arcadipane ist der frühere Assistent von Bramard, jetzt beruflich aufgestiegen und voller Neurosen. Er hadert mich sich, seinen Kindern und dem Älterwerden. Longo lässt diesen Antihelden in nicht gerade schmeichelhafter Art über das Altern, den Vergleich zwischen Kindern und Hunden und das professionelle Verhältnis zu seiner Therapeutin philosophieren. Als Sidekick fungiert die junge, relativ disziplinlose Kollegin Isa, die Wert auf die Feststellung legt, sie sei nicht Lisbeth Salander (aus der Stieg Larsson-Trilogie). Ihre auch militanten Reaktionen auf sexistische Bemerkungen und ihre Hackerqualitäten entsprechen jedoch durchaus salanderischem Niveau.

Im Erstling „Der Fall Bramard“ ist die Traumatisierung von Bramard das Thema, in „Die jungen Bestien“ geht es um Italien im Aufstand in den 1970er Jahren. In beiden Krimis gibt es zahlreiche Zeitschleifen zwischen damals und heute.

Auf der Neubaustrecke des TAV (italienischer ICE) zwischen Lyon und Torino – welche im Val di Susa heftig umkämpft ist – werden eine Reihe von Leichen gefunden. Die Tat liegt offensichtlich lange zurück. Die offiziellen Ermittler aus Milano, die Arcadipane sofort die Zuständigkeit entreißen, legen sich, ohne entsprechende Untersuchungen vorzunehmen darauf fest, dass es sich um eine Abrechnung gegen Ende des zweiten Weltkriegs handelt. Dieses „Ermittlungsergebnis“ hat neben der Tatsache, dass von Polizeiseite nicht weiter ermittelt werden muss, auch erhebliche politische Annehmlichkeiten. Arcadipane kommt mit inoffizieller Hilfe von Isa zu einem anderen Ergebnis: die Toten müssen aus den 1970er Jahren stammen. Die Zeitschleife beginnt, Bramard hatte bereits als damals junger Bulle in dem Fall ermittelt: Eine kleine Gruppe militanter Linksradikaler hatte ein Büro der faschistischen MSI in Brand gesetzt. Ein Angestellter war nachts noch im Büro – wovon niemand der Aktivist*innen ausging – und kommt durch den Anschlag ums Leben. Durch die ungewollten Folgen der Aktion muss die Gruppe untertauchen….

Ohne zu viel zu verraten darf gesagt werden, dass im Verlaufe des Krimis geheimdienstliche Operationen, Walter Benjamin und dessen Todesort Port Bou in Katalonien noch eine Rolle spielen….

Links-Lesen.de-Kollektiv im März 2020