Die „ZEIT“-Autoren Christian Fuchs und Paul Middelhoff haben bei Rowohlt das Buch „Das Netzwerk der Neuen Rechten. Wer sie lenkt, wer sie finanziert und wie sie die Gesellschaft verändern“ veröffentlicht und eine dazu gehörige Webseite https://www.neuerechte.org/ erstellt.
Über das Netzwerk – wir würden sagen: die Netzwerke – der Neuen Rechten zu recherchieren tut not. Lesbare und gut verständliche Überblicks-Darstellungen sind zu begrüßen, besser mehr als weniger, denn jede Veröffentlichung hat unterschiedliche Perspektiven oder setzt andere Schwerpunkte.
– so liest es sich im Klappentext und als Einleitung auf der Homepage. Weiter geht es:
Hier können Antifa-Strukturen natürlich zurecht nur den Kopf schütteln, denn sie sind es, die unermüdlich und seit Jahrzehnten über die rechte Szene recherchieren, informieren und veröffentlichen – und leider von den Autoren mit keinem Wort erwähnt werden. Nachvollziehbar ist allerdings auch, dass sich der Fokus der breiten Öffentlichkeit eher anlassbezogen auf das Thema Rechtsextremismus richtet und meist nur punktuell fragt, wer und was dahinter steckt. Aber stimmt die These zur geringen öffentlichen Wahrnehmung wirklich? Fuchs und Middelhoff nehmen in ihrem Buch besonders den Strategen Götz Kubitschek, die Identitäre Bewegung IB aber auch die AfD in den Blick und schreiben ihnen eine wichtige Bedeutung im weit verzweigten Netzwerk zu. Gerade diese Akteure haben unserer Einschätzung nach in den letzten Jahren jedoch durchaus einen recht hohen Stellenwert in der medialen Berichterstattung innegehabt: homestories mit Götz Kubitschek inkl. Familie auf dem Rittergut in Schnellroda waren beliebte sujets, Aktionen der IB schafften es immer in die Medien, weil die Identitären genau auf dieser Klaviatur zu spielen wussten und als ‚neue‘ Protagonist*innen der rechten Szene von Interesse waren – und über die Partei AfD wurde allein schon deshalb oft und ausführlich berichtet, weil sie das Parteiengefüge durcheinander rüttelte und die Bedrohung von rechts personifizierten.
Vielleicht braucht es aus verlegerischer Vermarktungsperspektive solcherlei etwas reißerische Klappentext-Formulierungen und Buch-Untertitel, aber sie sollten dann nicht allzu einfach zu widerlegen sein… Inhaltlich teilen wir durchaus eine warnende Haltung vor einer zunehmenden Stärke und Formierung der rechten Szene, wie sie aus dem gesamten Buch insgesamt heraus spricht. Wir hätten uns jedoch mehr Querverweise und Einordnungen an den Punkten gewünscht, wo es Bezüge zur alten nationalistischen Seilschaften, zum alten Konservatismus und zur neuen bürgerlichen Mitte gibt, sowohl inhaltlich/ideologisch
als auch personell. In den Darstellungen zum Kulturbereich finden sich immerhin ein paar Informationen über die Verbindungen in die konservative Elite (z.B. über die sogenannten „Salon-Nationalisten“ oder zum Auftreten rechter Verlage auf der Buchmesse), aber darüber hinausgehend kaum. Da sich die Autoren stark auf die von ihnen in den Fokus gerückte ‚Gegengesellschaft‘ beziehen, geraten ihnen Bezüge in die ‚Mitte der Gesellschaft‘ leider aus dem Blick und somit bestärken sie ein Stück weit die eher schlichten extremismustheoretischen Sichtweisen auf das Phänomen Rechtsextremismus.
Das Buch will allerdings auch eher ein dokumentarischer Überblick als eine theoretisch-analytische Schrift sein. Je nach Vorkenntnissen finden sich entsprechend mehr oder weniger aufschlussreiche Kapitel. So sind z.B. die Darstellungen zu Meinungsmache auch für weniger netz-affine Leser*innen angenehm konkret und verständlich geschildert, auch wenn sich die Formulierungen wiederholen:
„Die Medien der Neuen Rechten fluten die öffentliche Debatte mit Meinungsmüll, Falschmeldungen und Quatsch“
und
„Durch das Fluten der Medienkanäle mit solchen Verzerrungen, Nonsens und Falschmeldungen soll die Glaubwürdigkeit der Medien angegriffen werden“
Als politischer Vorläufer für derlei Medienarbeit wird die US-amerikanische Alt-Right-Bewegung genannt und erläutert. Es ist insgesamt positiv hervorzuheben, dass internationale Kontakte rechter Parteien und die Zusammenarbeit nationalistischer Bewegungen verschiedener Länder in den Fokus genommen werden. Dies gibt den Autoren auch die Gelegenheit, das Konzept des „Ethnopluralismus“ zu erläutern, das sie bereits in der Einleitung anreißen und in einem späteren Kapitel über einen internationalen Kongress «gegen die ethnokulturelle Verdrängung der europäischen Völker» vertiefen.
Für ein durchschnittlich antifaschistisch belesenes Publikum hätte es dieses Buch nicht gebraucht – für eine breite Öffentlichkeit kann es als gut lesbare Dokumentation der Strukturen und Entwicklungen der Neuen Rechten in den letzten Jahren nützlich sein.
Links-Lesen.de-Kollektiv im Februar 2020