Robert Klein: Koukoulofori – Die Vermummten. Anarchie und Widerstand in Griechenland. 1967-1996

Das Buch von Robert Klein Koukoulofori – Die Vermummtenaus dem kleinen feinen linken Immergrün-Verlag macht deutlich, dass es – ähnlich wie in anderen westeuropäischen Ländern – ab Ende der 1960er Jahre einen bunten, undogmatischen aber auch militanten Widerstand gab. Ebenfalls wie bspw. in der Schweiz, den Niederlanden, der BRD und anderen Ländern gab es ab Ende der 1970er Jahre Hausbesetzungen und der Punk beeinflusste auch in Griechenland die Gegenkultur.

Buchcover

Griechenland hat unter deutschen Linken und Linksradikalen erst seit ca. 20 Jahren ein größeres Interesse gefunden. 2003 fand in Thessaloniki ein EU-Gipfel statt, welcher an die internationalen Mobilisierungen in Europa nach Göteburg und Genua im Jahr 2001 anzuknüpfen versuchte. Ein weiterer Punkt war die Erschießung des 15 jährigen Alexandros Grigoropoulos im Jahr 2008 in Athen durch einen Polizisten, in dessen Folge es zu aufstandsähnlichen Krawallen kam. Wenige wussten zu diesem Zeitpunkt, dass die Geschichte des Widerstands in Griechenland wesentlich länger war.

Der Autor beschreibt sehr profunde und detailreich die verschiedenen Stationen des auch sehr militanten Widerstands nicht nur der anarchistischen Gruppierungen, sondern auch von marxistischen Organisationen wie 17. November u.a. Er beschreibt im wesentlichen die Situation in Athen und dort im aufständischen Stadtteil Exarcheia. Andere Orte bleiben etwas unterbelichtet, auch wenn sie hin und wieder Erwähnung finden, was z.B. die Genoss*innen in Thessaloniki wahrscheinlich ziemlich unfair finden werden.

Exarcheia ist ein dichtbesiedeltes Viertel im Herzen von Athen und geprägt u.a. davon, dass es von historischen Universitäten umgeben ist. Die ersten überlieferten Zusammenstöße zwischen Polizei und Student*innen werden auf das Jahr 1859 datiert. ELAS-Partisan*innen nutzen das Viertel während der Nazi-Besetzung als Rückzugsort und auch der Aufstand rund um die Polytechnikum Besetzung 1973, als die Junta zur Räumung Panzer einsetzte und ca. 30 Menschen getötet wurden, fand in Exarcheia statt. Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern, wo sich die sozialen Zentren schon seit langem nicht im Zentrum, sondern in Gewerbegebieten der Peripherie von großen Städten befinden, war und ist Exarcheia bis heute das Zentrum der politischen Linksradikalen und Anarchist*innen in Athen. Das Viertel ist allerdings seit längerem großen Angriffen der polizeilichen Repression und vielfältiger Gentrifizierung ausgesetzt. Polizeieinheiten, AirBnB-Wohnungen, schicke Cafés, internationale Immobilieninvestoren und Tourist*innen nehmen Exarcheia mehr und mehr in die Zange.

Die vielen Nennungen sowohl von Protagonist*innen wie Organisationen sollte mensch nicht davon abhalten, dieses Buch zu lesen, denn auch hier hilft ein relativ umfangreiches Glossar weiter. Historisch beginnt es 1967, dem Jahr des Putsches der Junta nach dem NATO-Plan Prometheus1. Das Ende mit dem Jahr 1996 begründet der Autor damit, dass danach die Gegenwart beginne. Aber vielleicht lässt dies so auch genügend Raum für einen zweiten Teil.

Die Anarchist*innen in Griechenland betrachten sich – ähnlich wie die Insurrektionalist*innen in Frankreich – nicht als Teil der politischen Linken, da dieser Raum von etablierten Parteien darunter der KKE (kommunistische Partei) besetzt und ausgefüllt wird. Die Situation zwischen der KKE und den außerparlamentarischen Bewegungen als angespannt zu bezeichnen, würde die Lage verharmlosen. Die KKE denunziert alle „linken“ politischen Bewegungen, die sie nicht kontrolliert, als Provokateure und im Sold ausländischer Geheimdienste stehend und scheut dementsprechend auch nicht vor körperlicher Gewalt z.B. gegen Anarchist*innen zurück.

Anarchist*innen in Griechenland sind im beschriebenen Zeitraum an fast allen Klassenkämpfen beteiligt – und dies stets als Kämpfer*innen der ersten Person. Sie sind nicht nur Genoss*innen, sondern auch Bauarbeiter*innen, Lehrer*innen, Busfahrer*innen etc. und somit Teil der kämpfenden Klasse. Sie treten offen auf und verstecken ihre politische Gesinnung auch nicht am Arbeitsplatz. Streiks sind per se militant, auch weil sie stets harten Angriffen von Polizei und Faschisten ausgesetzt sind.

Besonderes Augenmerk finden bei Klein militante Kleingruppen und ihre Aktionen sowie Massenmilitanz auf der Straße.

„Gewalt“ hatte in Griechenland – wie in anderen Staaten auch – niemals das verfemte Image wie in der BRD, sondern gehörte zum allgemeinen Potential des Widerstandes. Auch haben z.B. spätere Ministerpräsidenten der PASOK (Sozialdemokraten) in der Juntazeit Bomben gegen das Militärregime gelegt.

Das Buch hat sicherlich etwas spezielles und taugt nicht – auch nicht für ein linkes – Massenpublikum. Aber es erweitert den Horizont auch für diejenigen, die wenig oder keine Vorkenntnissen über griechische Verhältnisse aufweisen. Sehr lesenswert!

Fußnoten:

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Griechische_Milit%C3%A4rdiktatur#cite_note-9


Robert Klein: „Koukoulofori – Die Vermummten. Anarchie und Widerstand in Griechenland. 1967-1996“ // Juli 2024 // Immergrün Verlag // 391 Seiten kartoniert // 15 Euro

erhältlich beim Immergrünverlag hier oder im guten Linken Buchladen oder online z.B. bei BlackMosquito


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