Die Anti-Atom-Bewegung
Tresantis Kollektiv: Die Anti-Atom-Bewegung. Geschichte und Perspektiven
Das Tresantis-Kollektiv vereint Querköpfe, die an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten eng mit dem Widerstand gegen Atomanlagen verbunden waren und sind.
Eine Anekdotensammlung über die Anti-Atom-Bewegung? Nein, eine solche Beschreibung trifft es nicht. Das Buch ist viel mehr als das, es gehört ins (WG-)Regal aller Bewegungsaktivist*innen und auf den Büchertisch gesellschaftspolitisch Aktiver.
Über einen langen Zeitraum werden Mobilisierungen, Aktivitäten, Demonstrationen, Sabotageaktionen, Bündnisse, Besetzungen und Demonstrationen geschildert; die Bewegung gegen die Pläne, in Wyhl ein AKW zu bauen ab 1975 macht den Anfang.
Wir meinen:
Da unterschiedliche Akteur*innen ihre Versionen und Erlebnisse beigetragen haben, fächert sich ein beeindruckendes Feld von Erfahrungen, Haltungen, aber auch Kontroversen auf. Durch das Buch zieht sich ein klarer radikaler und unversöhnlicher Standpunkt, den die Herausgeber*innen einnehmen – den sie aber auch erklärbar und verstehbar machen: durch Erzählungen, die von brutaler Polizeigewalt gegen singende Winzer*innen geprägt sind, Berichte von Medienhetze und Verarschung durch Politiker*innen, Analysen über die Verflechtungen der Energiekonzerne mit den Atombombenplänen der jungen Bundesrepublik, Recherchen zu Leukämiefällen in Geesthacht und das perfide Spiel mit bestellten wissenschaftlichen Gutachten bis hin zur Aufarbeitung der Vorfälle in Fukushima. Die Qualität und Wucht und auch die militante Form des Widerstands kam nicht von ungefähr – und es ist eine Stärke des Buches, diese Hintergründe auszuleuchten, vielstimmig, aber konsequent in der eigenen radikalen Verortung.
Es geht um praktische Widerstandstechniken, deren ganz konkrete Planung und die (nicht immer erfolgreiche…) Durchführung, um Massenaktionen (Castor Schottern) und Einzelsabotagen (Masten-Fällen), um die Umgänge mit Ängsten, Repression – aber auch um Jubel, Erfolge und die Entstehung nachhaltiger widerständiger Netzwerke. Politische Diskussionen innerhalb der Bewegung werden nachvollziehbar gemacht – und kommen vielen bestimmt bekannt vor: Autonome Ansätze werden in Bündnis- und Öffentlichkeitsarbeit auf den Prüfstein gestellt, der Ausgang unterschiedlich bewertet; aus Ortsansässigen werden Orts-Aufsässige und alle fragen sich, wer wie stark an diesen Entwicklungen beteiligt war… Vieles von diesen Überlegungen ist sicherlich übertragbar auf andere Bewegungen und dort auch schon eingeflossen- „das“ Wendland wurde schon oft als Beispiel zitiert, etwa für das gelungene Nebeneinander verschiedener Widerstandsformen.
International wird leider nur der Kampf im französischen Valognes aufgegriffen, der u.a. in Zusammenhang mit den Loi Travail-Protesten diskutiert wird. Der Blick auf die DDR-Opposition, die nach Tschernobyl ebenfalls gegen Atomkraft aktiv wurde, fehlt ebenfalls. Dafür endet das Buch zum Glück nicht mit gegenseitigem Schulterklopfen, sondern zeigt nochmal in aller Schärfe, dass der Kampf noch keinesfalls vorbei sein darf: Erst 2022 sollen die letzten deutschen AKWs vom Netz gehen, Hamburg ist weiterhin wichtiger Umschlagplatz für Uranerzkonzentrat, weswegen regelmäßig damit beladene Züge nach Narbonne rollen, in der Asse rosten die Fässer weiter in Salzlauge – und eine Lösung der Endlagerfrage ist weit und breit nicht in Sicht.
Kein Happy End also, aber ein schönes Stück Bewegungsgeschichte, mit vielen spannenden Erinnerungen und vielen Fotos, wofür den Bewegungsfotograf*innen (z.B. von der immer noch lesenswerten Seite Anti-Atom-aktuell.de oder vom Umbruch Bildarchiv) auch nochmal extra gedankt wird.
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