Das Buch „Gemeinsam für die Zukunft – Fridays For Future und Scientists For Future. Vom Stockholmer Schulstreik zur weltweiten Klimabewegung“ ist eine Empfehlung für all diejenigen, die noch einmal nachlesen wollen, wie die Bewegung Fridays for Future entstand und warum denn so plötzlich Hunderttausende in Bewegung geraten, warum gerade Jugendliche in aller Welt so eine Wut und Empörung auf die Straße bringen.
Entstehung der Klimabewegung Fridays for Future
David Fopp zeichnet in diesem Buch minutiös Entwicklung und Verlauf der bisher größten sozialen Jugendbewegung der Geschichte nach. Der Schwerpunkt seiner Schilderung liegt dabei auf der Entstehung von Fridays for Future (FFF) in Schweden und der herausragenden Rolle von Greta Thunberg, die schnell zu der Ikone der weltweiten Bewegung auch von Fopp hochgejubelt wird. Das ist zugleich eines der Schwachstellen dieser 300 seitigen Schilderung einer wie aus dem Nichts kommenden globalen Bewegung gegen die Klimakrise und die Untätigkeit von Politik und Gesellschaft. Der Erfolg von Gretas zunächst einsamer Aktion vor dem schwedischen Parlament im August 2018 ist „wie ein Märchen“, so eine der jungen Aktivistinnen aus der Ursprungsgruppe der Jugendlichen um Greta.
Die wahnsinnig kurze Zeitspanne zwischen August 2018 und dem ersten globalen Klimastreik im März 2019 wird in erzählerischer Weise detailliert im ersten Teil des Buches nachgezeichnet. Dies geschieht aus der Sicht des Wissenschaftlers David Fopp, der seine Lehrtätigkeit aus dem universitären Elfenbeinturm verlässt und sich schon im Herbst 2018 der Gruppe um Greta anschließt. Hier werden auch die ersten Blockadeaktionen des zivilen Ungehorsams von Extinction Rebellion geschildert und die anfängliche Skepsis der Gruppe um Greta gegenüber diesen Massenaktionen. Desweiteren werden an verschiedenen Stellen jeweils kurze sehr einprägsame Aspekte der Klimakrise vorgestellt. Dies beginnt mit einem dicht beschriebenen DIN A4-Blatt von Greta, in dem sie in prägnanter Zusammenfassung nahezu alle Gefahren und notwendigen Schlussfolgerungen der Klimakrise schildert. Fopp versteht zuerst nur Bahnhof, als er zum ersten Mal vor das Parlament kommt und die Jugendlichen um Greta beim Schulstreik trifft: “Ich bin es, der hier lernt, und es wird Monate dauern, mit wöchentlichen Gesprächen, bis ich verstanden habe, worum es ihr geht“. Und bei jedem der Schulstreiktage, an denen erst wenige, später dann ein paar Dutzend teilnehmen, liegt das Papier von Greta auf dem Boden für alle einsehbar, später wird es verteilt in der ganzen Stadt. Die Hauptaussage ist: „Hört endlich auf die Wissenschaft“, an die Politik gerichtet: „Handelt“.
Die „Rebellion der Kids“
Die „Rebellion“ der Kids verbreitet sich rasend schnell. Es ist eine Generation, die aufsteht, wie Fopp schreibt. Dabei kommen die meisten vor das Parlament jeden Freitag ‚auch‘ wegen des Klimas: sie üben eine grundsätzliche Kritik an der Gesellschaft und halten das stoische „Wegschauen der Politikerinnen nicht mehr aus“. Binnen Wochen gelingt es den Streikenden durch ihre digitale Kompetenz netzwerkförmige Verbindungen in alle Welt aufzubauen, sie lernen wie mensch eine Veranstaltung organisiert, mit allem Drum und Dran von Bühne und Beschallung bis zum Ordnungsdienst.
Ende 2018 halten sie diverse Zoomkonferenzen mit AktivistInnen aus allen Erdteilen ab, ihr gemeinsamer Nenner ist „climate justice“, „social justice and equity for all people“ und „zero emission until 2030“, damit das Pariser 1.5-Grad-Ziel erreicht wird.
Greta wird zur COP 24 in Katowice eingeladen und hält dort eine Rede. „Ihr Auftritt wird“, wie Fopp schreibt, „buchstäblich die Geschichte verändern“. In ihrem 2-minütigen Statement macht Greta klar, dass das Gerede ein Ende haben muss: „Wir rechnen nicht mit euch PolitikerInnen; wir, das Volk werden handeln, egal was ihr macht.“ Am nächsten Tag haben schon Hunderttausende im Sudan, in Mexiko oder in den USA diese Kampfansage in einem Videomitschnitt gesehen. Ähnlich klar ist Greta auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum im Januar 2019: „Ihr seid es mit eurem Wahn nach Reichtum, die die Welt kaputt machen“ und weiter: „I want you to panic. Act as if the house is on fire. Because it is!“ Diese knappen Sätze kommen an, in der Jugend rund um den Globus.
Globale Klimastreiks
Der erste globale Klimastreik am 15. März 2019 rückt immer näher. Mittlerweile gibt es neue Unterstützungskreise u. a. in der Schweiz und Deutschland. In Australien streiken die ersten 10.000 SchülerInnen schon Ende November 2018. Alle sind hyperaktiv und nervös, ob es mit dem global action day klappt. Kurz vorher rufen in Berlin 25.000 WissenschaftlerInnen zur Unterstützung von FFF auf und dem schließt sich auch eine Gruppe um David Fopp in Schweden an. Scientist for Future ist geboren. Der ehemalige Chef des Potsdamer Klimaforschungsinstituts Schellnhuber ist ganz aus dem Häuschen: „Der Schulterschluss von Wissenschaft und Jugend beim Kampf für eine neue Gesellschaft, die nachhaltig wirtschaftet und lebt, ist wie ein Urknall“.
Der Erfolg am 15.3.2019 ist überwältigend. In allen Kontinenten gehen Zehntausende in über 100 Städten auf die Straße. Am Ende werden mehr als 1,5 Millionen gezählt.
Den weiteren Verlauf des Jahres 2019 erzählt Fopp detailreich, an manchen Stellen zu detailhaft.
Der spannendste Abschnitt ist der Bericht über die Entstehung der ‚Lausanne Climate Declaration‚ vom August 2019. FFF aus allen Erdteilen diskutieren und ringen über Tage um die Grundsatzfrage, sollen wir Forderungen an die Politik wie Null-Emission bis 2030 stellen oder sollen wir lediglich einen Katalog von Maßnahmen erheben? Dahinter verbirgt sich der Konflikt in FFF, ob es überhaupt noch Sinn macht, Hoffnungen auf die PolitikerInnen des Neoliberalismus zu wecken. Viele sind davon überzeugt, „diese müssen sich ändern“ und dann ist es erst möglich, Forderung an sie zu richten. Die Konferenz einigt sich darauf, „die Detailforderungen zur Energie-, Agrar-, Wirtschafts- und Transportpolitik als mögliche Wege darzustellen, die man einschlagen könnte statt ultimative Forderungen.“ Der politische Konflikt, soll die Bewegung auf Gesprächsangebote und Verhandlungen eingehen oder soll sie sich auf ihre Stärke auf der Straße beschränken, ist damit nicht gelöst. Zugespitzt, wie manche es sagen, geht es um das Selbstverständnis von FFF als Bewegung oder Jugendpartei. Im September 2019 ist der vorläufige Höhepunkt erreicht: Mehr als 8 Millionen streiken am 27.9. weltweit.
Erfolge und Perspektiven von FFF
Ein Gespräch mit den beiden Aktivitistinnen Isabelle und Loukina über das Erreichte und die Perspektiven von FFF beschließt das Buch. Leider kommt dabei ein Punkt viel zu kurz: Bei allem medialen Erfolg: die Bewegung hat politisch in den allermeisten Staaten noch nichts entscheidendes verändern können. Und FFF bezahlt einen hohen Preis: hunderte sind über Monate wahnsinnig aktiv gewesen, haben neben der Schule und dem Druck aus ihrem familialen Umfeld gekämpft bis zum Umfallen, bis zum Burnout. Darüber wird aber nur in kleinstem Kreis gesprochen. Es ist zu hoffen, dass die neu geschlossenen Freundschaften hier eine bleibende Hilfe sind, denn der Kampf um Klimagerechtigkeit ist noch längst nicht zu Ende.
Das Buch ist eine Empfehlung für all diejenigen, die noch einmal nachlesen wollen, wie diese Bewegung entstand. Aber es ist dabei zu einseitig auf die Person Greta fokussiert und diskutiert leider viel zu wenig, warum denn so plötzlich Hunderttausende in Bewegung geraten, warum gerade Jugendliche in aller Welt so eine Wut und Empörung auf die Straße bringen. Da reicht es nicht, immer nur auf Greta mit ihrem Schulstreik-Schild vor dem mächtigen Portal des schwedischen Parlaments zu verweisen.
David Fopp, Isabelle Axelsson, Loukina Tille : „Gemeinsam für die Zukunft – Fridays For Future und Scientists For Future. Vom Stockholmer Schulstreik zur weltweiten Klimabewegung„, Januar 2021, Transcript-Verlag, 320 Seiten kartoniert, 20 Euro
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