Wie man eine Pipeline in die Luft jagt
Der schwedische Humanökologe Andreas Malm ist – oder nach eigenen Angaben war – Aktivist in der Klimabewegung und hat eine Art Manifest vorgelegt, welches die Bewegung zu sehr viel radikaleren Aktionen auffordert: „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen“, hrsg. bei Matthes & Seitz.
Der Titel ist eine Art politisches Programm, aber keine praktische Handlungsanweisung. Das Buch beschäftigt sich nicht mit Logistik, Organisation und Konspiration hinsichtlich militanter Aktionen – sonst wäre es vermutlich auch eher ein Fall der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft als des Feuilletons diverser Zeitungen. Es ist somit kein Buch für diejenigen, die sich derartige praktische Tipps und Hinweise erhoffen.
Malm kämpft sich überzeugend an der strategischen Gewaltlosigkeit der Klimabewegung ab und analysiert die Schriften mehrerer Apologet*innen der Friedfertigkeit. Er setzt ihnen die Taktiken einiger erfolgreicher Bewegungen entgegen, die auch das Mittel der Militanz in ihrem Kampf nutzten, wie bspw. der Befreiungskampf der Sklav*innen in den USA, die US-Bürgerrechtsbewegung, die Suffragetten und der Anti-Apartheidskampf in Südafrika. In dem Buch werden die Thesen einiger ExtinctionRebellion (XR) Funktionär*innen und anderer überzeugend widerlegt, wonach gewaltfreier Kampf empirisch zu mehr Erfolgen führt, als auch militanter Widerstand. Klar ist für Malm ebenso, dass sich Militanz nicht gegen Menschen richten sollte, sondern gegen Sachen – er bleibt somit im linksradikalen Konsens.
Es geht in diesem Buch auch um mehr als die Mittel im Klimakampf. Malm differenziert angenehm z.B. zwischen Subsistenzemissionen armer Menschen, die aufgrund ihrer Situation bspw. gezwungen sind, mit klimaschädlichem Holz zu kochen und zu heizen, und den Luxusemissionen der Reichen und ihren Superyachten. Der reiche und superreiche Teil der Weltbevölkerung produziert pro Kopf ein Vielfaches an klimaschädlichen Emissionen und dies zu einem gewissen Teil in völlig überflüssiger und unverantwortlicher Art und Weise. Die Klassenanalyse und damit auch die Beantwortung der Frage, welche Teile der Bevölkerung die größte Verantwortung für die Erderwärmung tragen, gelingt dem Autor überzeugend.
Über weite Teile des Buches äußert der Autor wiederholt sein Unverständnis darüber, warum die Klimabewegung nicht wesentlich militanter agiert. Denn so wie die Zustände seien, müsse viel mehr getan werden, um den Klimakollaps zu verhindern. Die Zeit sei reif für mehr entschlossenes Handeln und zwar hier und jetzt.
Diese Schlussfolgerung führt aber zu einigen Redundanzen und erratischen Schleifen im Buch, die leider lektoratsmäßig nicht ausgebügelt worden sind. Die Hintergründe dafür, warum die Klimabewegung weitestgehend gewaltfrei agiert, vermag der Autor allerdings nicht zu durchdringen. Weder wird die Zusammensetzung derselben kritisch analysiert, noch das von deren größter Teil leider bisher allzu naive Vertrauen darauf, dass es gegenüber den staatlichen und anderen Akteur*innen nur der Kraft besserer Argumente bedarf, um radikale Veränderungen zu erreichen. Die Besonderheit, dass die Klimabewegung die erste soziale emanzipatorische Bewegung ist, die von den allermeisten Politiker*innen und Medien wenn nicht ausdrücklich für ihr Engagement gelobt, dann doch zumindest nur von den wenigsten frontal angegriffen wird, ist für Malm nicht erwähnenswert. Ebensowenig wird bei der Frage, warum keine Zuwendung zu militanten Aktionen stattfindet, die Tatsache analysiert, dass die allermeisten Klima-Aktivist*innen entweder bisher nichts (Fridays for Future) oder nur recht wenig riskiert haben (XR, Ende Gelände). Der Widerstand im Hambacher Forst, der eben nicht strategisch gewaltfrei war und einige wenige andere Ausnahmen werden zwar lobend erwähnt, aber das war es eben auch. Die Hintergründe der unterschiedlichen Herangehensweise im Widerstand bleiben dem Autor verschlossen.
Auch die Strategie der Gegenseite, die gewaltfreien Teile der Bewegung durch Umarmung zu ersticken und soziale Bewegungen anhand der Gewalt- und anderer Fragen zu spalten, wird in diesem Buch nicht analysiert. Ganz im Gegenteil: Malm befürwortet Gespräche und Verhandlungen von anerkannten Bewegungen wie XR mit den Regierungen unter gleichzeitiger taktischer Abgrenzung von einem bisher nicht existenten militanten Flügel. Malm spricht von einer nach außen geäußerten taktischen „Ächtung“ der Militanten durch die „Friedlichen“ als positivem und wünschenswerten Effekt (S. 137f.).
Malm versteht Militanz als rein taktisches Mittel, um dem Staat in der Klimafrage Zugeständnisse abzutrotzen, es geht ihm nicht um eine andere Gesellschaft. Nun kann angesichts der herrschenden Verhältnisse auch ein militanter Reformismus durchaus Sinn machen, allerdings kaum mit am Bildschirm ausgedachten von oben zu implantierenden Taktiken.
Zudem geht es Malm rein um die Klimabewegung. Mensch könnte auf die Idee kommen, dass z.B. der Kapitalismus rein gar nichts damit zu hat. Beziehungen und Anknüpfungspunkte zu anderen emanzipatorischen Kämpfen kommen schlichtweg nicht vor. Es scheint seitens des Autors eine eher schlichte und schematische Betrachtungsweise von sozialen Bewegungen zu geben.
Der Autor spricht sich – laut Wikipedia – als Mitglied einer trotzkistischen schwedischen Partei auch gegen zu viel horizontale Organisierung und für die Ausbildung von mehr politischen Kadern aus (Interview Junge Welt 17.10.2020, kein Open Access). Dies führt uns insgesamt zu dem Schluss, dass dies kein Buch „von unten“ ist. Die Gewaltfrage wird zwar abstrakt richtig beantwortet, die Analyse speziell des bürgerlichen Staates hält sich jedoch leider in Grenzen und die angeblich einzuschlagenden Taktiken folgen keinerlei Basisprozessen sondern sind eben Kaderpolitik. Was mensch einem Trotzkisten nicht vorwerfen kann, aber feststellen muss.
Andreas Malm: „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ 2020, Matthes & Seitz, 211 Seiten Klappenbroschur, 18 Euro