Édouard Louis, Ken Loach: Gespräch über Kunst und Politik

In einem aktuellen Al-Jazeera-Gesprächs-Format namens ‚Studio B: Unscripted‘ begegneten sich bereits vor einiger Zeit Édouard Louis und Ken Loach. In dem Gespräch ohne Moderation ging es u.a. über Klassenkampf, Armut, den Aufstieg der extremen Rechten und die Rolle der Linken.

Louis ist seit einiger Zeit ein nicht nur in seinem Heimatland Frankreich beachteter schwuler Schriftsteller, Loach ein seit Jahrzehnten äußerst bekannter Regisseur. Beide rechnen sich der gesellschaftlichen Linken zu, Loach ist eher einer sozialistsichen Fraktion zuzuordnen und Louis repräsentiert eine Richtung, in der u.a. auch die Gechlechterfrage und -diversität eine größere Rolle spielt. Beide sind auch als Aktivisten tätig.

Die Gesprächs-Reihe Studio B: Unscripted, an der beide teilnahmen, stellt Al-Jazeera wie folgt vor:

Zwei Menschen, zwei unterschiedliche Lebenserfahrungen, ein intelligentes Gespräch. Auf der Suche nach den Schnittpunkten zwischen neuen Ideen, gemeinsamen Erfahrungen und der Frage, wie man globale Probleme erfolgreich lösen kann. In dieser Reihe geht es weniger um die Argumente als vielmehr darum, Themen zu erkunden und gemeinsame Lösungen zu finden. ÜBER DEN HOST Das ist es ja, es gibt keinen. Studio B: Unscripted ist eine Diskussionsreihe ohne Moderator, nur mit zwei bemerkenswerten Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen des Lebens und mit Ideen, die sie miteinander teilen.“

Es scheint eher die Ausnahme als die Regel zu sein, dass – wie hier – in dieser Reihe zwei weiße Männer (ja, einer bereits sehr alt – der andere zwar auch cis, aber nicht hetero und ziemlich jung) eine Sendung bestreiten. Ansonsten diskutieren dort viele nicht weiße Personen aus diversen Ländern des globalen Südens über den Ausstieg aus den fossilen Energien, die Klimabewegung, soziale Gerechtigkeit und Hierarchien, Rassismus und vieles mehr.

S.Fischer hat jetzt das Gespräch der beiden auf deutsch in einem kleinen aber feinen Büchlein veröffentlicht. Hinrich Schmidt-Henkel ist für die gelungene Übersetzung verantwortlich.

Loach und Louis gehen wie in solchen Gesprächen üblich äußerst höflich miteinander um und vergessen so gut wie nie, die Argumente des anderen auch gehörig zu loben. Diese Attitüde geht hier halbwegs auf, oft genug kann sie aber auch einen produktiven Streit und den Austausch von abweichenden Meinungen gehörig behindern. Denn natürlich haben sie abweichende Auffassungen u.a. in der Frage von Organisierung, Gemeinschaft und der Perspektive auf „den“ Arbeiter. Loach ist – wie in seinen Filmen – äußerst empathisch aber auch hie und da zu einseitig auf der Seite des ausgebeuteten, entfremdeten männlichen Proletariers. Louis sieht – wie in seinen Büchern – auch die Gewaltverhältnisse, denen LGBTIQ’s, Frauen, Kinder etc. häufig genug ausgesetzt sind und plädiert für ein Recht, Gemeinschaften verlassen zu können und dürfen. Insoweit sind die Haltungen der beiden zwar nicht überraschend oder neu, aber das Gespräch hat auch in der Form als Buch etwa angenehmes: beide suchen eher nach Gemeinsamkeiten in den politischen Positionen als nach Trennendem.

Die Differenzen zwischen Loach und Louis werden wohl am sichtbarsten bei dem Versuch, die Frage nach dem Aufstieg der extremen Rechten und ihrem hohen Anteil auch an Wähler*innen aus der Arbeiterklasse zu beantworten. Loach sieht dahinter lediglich die Interessen des Großkapitals – okay, sein Redeanteil in diesem Kapitel ist auch extrem klein. Aber Louis gelingt eine sehr differenzierte Diagnose dieses komplexen Problems.

Schönes lesbares Büchlein – prima geeignet auch als Geschenk an Genoss*innen, die, wie so viele, momentan mehr Fragen als Antworten haben.


Édouard Louis, Ken Loach: „Gespräch über Kunst und Politik“ Januar 2023, S.Fischer Verlage, 80 Seiten gebunden, 17 Euro


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