Seit mehreren Jahren wird – angeregt offenbar durch entsprechende Publikationen aus Frankreich – auch in der BRD wieder mehr über die Klasse an und für sich literarisch debattiert. Oft sind die Veröffentlichungen im subjektiven Duktus der französischen Vorbilder Didier Eribon, Annie Ernaux und Édouard Louis orientiert. Sie unterscheiden sich allerdings häufig in der Analyse und auch den Schlussfolgerungen.

Klasse und Kampf“ , hrsg. von Christian Baron und Maria Barankow bei Ullstein umfasst 14 Beiträge verschiedener Autor*innen, welche anscheinend gut ausgewählt nach Mann/Frau/divers/Schwarz/weiß/ost/west und möglicherweise auch weiteren Kriterien ausgesucht worden sind.

Alle Beiträge sind literarisch gut gelungen. Teilweise sind es ausgedachte Episoden, witzig geschriebene short stories, in Ich-Form erzählte Parabeln, aber auch autobiographische Erlebnisse, die einen guten Einblick in das geben, was viele linke Aktivist*innen heutzutage selbst nicht mehr kennen: prekäre proletarische Elternhäuser, Diskriminierung in Schule und Gesellschaft, Durchbeißen und Nach-Oben-Kämpfen.

Mehr Kampf kommt leider im Buch kaum vor. Das Vorwort ist noch das klarste, mit empirischen Zahlen versehene Kapitel über Ausbeutung in Deutschland. Ansonsten werden Aufsteiger*innen-Biographien erzählt. Bis auf Katja Oskamp – die nicht nur als Autorin arbeitet, sondern auch in Berlin-Marzahn als Fußpflegerin tätig ist – sind alle ihrem ursprünglichen Milieu entkommen und schreiben aus einer mindestens ausbildungs- und statusmäßig gesicherten Perspektive. In einigen Beiträgen kommt ein Bedauern über die eigene finanzielle Situation zum Ausdruck. Über Geld zu reden oder wie hier zu schreiben, ist erst mal positiv, weil über persönliches Einkommen und eigene finanzielle Möglichkeiten kaum noch ein Austausch stattfindet. Allerdings wird es in den erwähnten Beiträgen etwas schal. Es entsteht mindestens in Teilen der Eindruck, dass ein Uni-Abschluss eine Art geschriebenes Versprechen auf ein Einkommen von 2.500,- netto und mehr darstellt. So könnte mensch auf den Gedanken kommen, dass es eher um ein Problem mit relativer Deprivation (das subjektive Gefühl, nicht das zu bekommen, was einem/einer angeblich zusteht) als um Klasse und Kampf geht.

In mehreren Beiträgen wird à la Bordieu beklagt, dass mensch qua seiner Herkunft nicht über das notwendige soziale und kommunikative Kapital verfügt, um mit den rich kids mithalten zu können. Auch die mangelnde Chancengleichheit in diesem Land wird – natürlich absolut zu Recht – beklagt. Da es keinerlei historische Hinweise auf andere ältere Untersuchungen und Zustände in diesem Land gibt, könnte mensch evtl. auf die Idee kommen, dass all diese Erkenntnisse neu sind. Was sie natürlich keinesfalls sind. Das mindert den Wert dieses Sammelbandes nicht, ist aber etwas ärgerlich.


Fraglicher wird es bei dem oben erwähnten Beklagen des Unbehagens im neuen Milieu, des Nicht-vollständig-Angekommenseins in der neuen Klasse. Nirgendwo wird die Frage aufgeworfen, warum mensch dort unbedingt ankommen möchte, warum mensch unbedingt ganz und gar dazu gehören möchte. Kein Beitrag zieht die Möglichkeit der Verweigerung als Wert auch nur in Betracht. Mit Recht mag mit dem Zeigefinger auf Angehörige der herrschenden Klasse gezeigt werden, die in ihren Adoleszenzjahren einen nur temporären Klassenverrat geübt haben, um danach in den privilegierten Schoß von Familie und Klasse zurückzukehren. Es gibt aber auch im Rahmen des sozialen Aufstiegs die Möglichkeit der Verweigerung, was angebliche Hochkultur und angelerntes Wissen über Literatur, Theater, Kunst und sonstiges Zeug angeht. Die meisten der hier versammelten Autor*innen möchten aber anscheinend sehr gerne dazu gehören. Da kann mensch nur sagen, bitte schön – aber was ist dann euer Verhältnis zu sozialen Kämpfen in diesem und anderen Ländern? Fühlt ihr euch einer kämpferischen Linken weiterhin zugehörig oder war das noch nie der Fall?

Ein wie auch immer geartetes Klassenbewusstsein kommt in einigen Beiträgen vor, in anderen leider kaum bis gar nicht. Von daher ist die Auswahl der Autor*innen zwar nach nach den oben gesagten Kriterien gelungen, aus Klassenkampf- bzw. -bewusstseinskriterien leider eher nicht in Gänze.

Christian Baron / Maria Barankow:Klasse und KampfMärz 2021, Ullstein, 224 Seiten, Hardcover, 20 Euro

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