King Kong Theorie

Harte Themen, radikale Thesen, scharfe Schnitte – ein bisschen wie ein Punkrocksong kommt die rasante feministische Streitschrift „King Kong Theorie“ von Virginie Despentes daher.
Mit ihrem Roman und Film „Baise-moi“, in dem zwei Frauen nach brutalen sexualisierten Gewalterfahrungen selber äußerst gewalttätig durch die Gegend ziehen, erreichte die 1969 in Nancy unter anderem Namen geborene Despentes einen Skandal und Verbote: zu pornografisch, zu brutal, zu billig, und und und…

Heute hingegen erzielen ihre Romane um den gesellschaftlichen Abstieg des Plattenverkäufers Vernon Subutex viele lobende Rezensionen, Literaturpreise und hohe Verkaufszahlen. Es scheint ihr darin gut zu gelingen, aktuelle Debatten um Neue Rechte, Islamismus und Kapitalismus literarisch gekonnt aufzugreifen.

Das kleine Büchlein „King Kong Theorie“ ist ein autobiografisches Pamphlet der wütenden Feministin Despentes: eine schonungslose, mal bittere, mal souveräne Anklage gegen Patriarchat, gegen althergebrachte und immer wieder neu bespielte Geschlechterverhältnisse und gegen den Kapitalismus.

Despentes möchte alles sein, außer angepasst, lieb, nett und begehrenswert. All das aber wäre weiterhin für Frauen vorgesehen, und zwar jeweils klassenspezifisch. Sie schreibt bewusst und explizit aus der Rolle der Frau, „die man nicht heiratet“, die „immer ‚zu‘ ist, zu laut, zu grob, zu brutal, zu zerzaust und immer zu männlich“. Das wird flott und aggressiv geschrieben, mal mitreißend, mal verstörend, mal etwas zu belanglos und effekthascherisch. Vielleicht braucht es diesen Ton aber auch, um in Frankreichs zum Teil sehr viel offeneren (feuilletonistischeren) Debatten, wenn es um Sex und Sexualität geht, aufzufallen. Vieles, was Laurie Penny in den letzten Jahren schrieb und berühmt machte, ist hier schon 2006 in Frankreich erschienen: rotziger, punkiger Feminismus.

Punk war Jugendkultur und ist wohl heute noch Lebenseinstellung von Virginie Despentes. Punk bedeutete für sie Ausbruch, Aufbruch, Emanzipation und Selbstbestimmung. Teil ihrer Jugend war aber auch eine brutale Vergewaltigung als Siebzehnjährige. Es möge jede selbst entscheiden, ob sie dieses heftige beeindruckende Kapitel dazu liest. Die Reflexion ihrer eigenen und der Reaktionen der Umgebung auf die Tat gehen nahe: die Gleichzeitigkeit des individuell außergewöhnlichen Leids und der gesellschaftlich so verschwiegenen Alltäglichkeit von Vergewaltigungen.

Die Fragen lassen sie nicht los, auch wenn sie nach außen hin schweigt. Ihre eigene Umgangsweise kommt in Bewegung, als sie das Geschehene politisiert und einen Zusammenhang herstellt zwischen dem alltäglichen Risiko männlich-patriarchaler Gewalt und ihrem persönlichen Freiheitsdrang.

Angeregt durch die US-amerikanische Feministin Camille Paglia begreift sie sich nun weniger als „armes Mädchen“, sondern sie analysiert ihre Lebensweise zwar als risikoreich und gefahrvoll, aber trotzdem als für sie richtige Entscheidung. Beeindruckend und lesenswert, auch, wenn in diesen Überlegungen nicht vorkommt, dass häusliche sexualisierte Gewalt auch den ‚braven Mädchen‘ drohen kann und nicht nur der Punkerin beim Trampen. Despentes Erkenntnis: „Ja, wir waren draußen, in einem Raum, der nicht für uns bestimmt ist. Ja, wir haben überlebt, statt zu sterben. Ja, wir waren im Minirock, allein, ohne männliche Begleitung in der Nacht. […] Wir waren das Risiko eingegangen, wir hatten den Preis bezahlt, und statt uns zu schämen, dass wir lebten, konnten wir beschließen aufzustehen und uns so gut wie möglich davon zu erholen“.

Das ist Selbst-Empowerment und bietet eine authentische Beschreibung eines Weges weg vom reinen Opferstatus hin zu erlernbarer Selbstermächtigung und einem ‚Damit-Zurechtkommen‘. Vielleicht kann dieser ehrlich und schonungslos aufbereitete Erfahrungsbericht auch anregendes Material bieten für diejenigen, die sich mit den Themen Umgang /Beratung für Betroffene sexualisierter Gewalt oder mit awareness und Schutzkonzepten in (linken) Räumen beschäftigen.

In den weiteren Kapiteln diskutiert Despentes – ebenfalls ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen – die Themen Prostitution und Pornografie. Hier werden Thesen, wie sie in den sex-positiven Ansätzen auch in der feministischen Wissenschaft vorkommen, stakkatoartig, nein, nicht durchgearbeitet, sondern eher aufgeführt. Das liest sich – je nach Vorkenntnissen und politischer Einstellung zu diesen kontroversen Themen – schnell und gut oder auch mal ärgerlich, oberflächlich und streitbar. So wird z.B. die Darstellung der Ehe als bürgerlich anerkannte Form der Prostitution etwas überstrapaziert. Trotzdem ist es mitunter schön zu lesen, wie sie der ach so aufgeklärten (französischen) gesellschaftlichen Elite und ihren Moral- und Geschlechterverhältnissen den Spiegel vorhält. Amüsant wird es aus deutscher Sicht (wo vergleichsweise viel weniger einflussreiche ‚Intellektuelle‘ in Erscheinung treten), wenn Despentes Frankreich als „Theoriewüste“ bezeichnet – in 30 Jahren hätte kein Mann mehr irgendetwas Neues zum Thema ‚Männlichkeit‘ geschrieben. Diesem Appell Virginie Despentes‘ nach mehr schließen wir uns ebenso gern an wie ihrem Schlusswort: „Gehabt euch wohl Mädels und macht’s besser“.

Links-Lesen-Kollektiv

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