Dan McCrum: House of Wirecard
Was ist schon ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank? Bertold Brechts legendäres Zitat hat mit der Geschichte von Wirecard eine neue und hoch aktuelle Wirkung bekommen.
Der Financial Times Journalist Dan McCrum hat nicht nur diesen Wirtschaftskrimi geschrieben, sondern war bei der FT auch maßgeblich daran beteiligt, Wirecard zu Fall zu bringen.
Geschäftsmodell Wirecard
Wirecard ist der mit riesigem Abstand größte Wirtschaftsskandal aller Zeiten in Deutschland. Ein hochkrimineller Konzern, der in seinen besten Zeiten in den DAX aufgenommen wurde und allen Ernstes plante, die Deutsche Bank zu übernehmen, hatte zu keinem Zeitpunkt ein seriöses Geschäftsmodell.
Das angebliche Geschäftsmodell von Wirecard sollten Zahlungsabwicklungen sein, also bei Käufen, die Kunden mit Kreditkarte tätigen, dafür zu sorgen, dass das Geld auf dem Konto des Händlers landet. Hierfür wurden in erheblichem Umfang Firmen – oft in Süd-Ost-Asien – für absolut überhöhte Preise aufgekauft. Teilweise existierten diese Firmen gar nicht, hatten keine Büros oder diese standen einfach leer. Um Liquidität vorzutäuschen wurden Überweisungskarussels eingerichtet und Summen immer wieder von Konto zu Konto weitergeschoben.
Rolle deutscher Behörden
Eine Extra-Portion Peinlichkeit charakterisiert auch die Rolle deutscher Behörden wie BaFin und Staatsanwaltschaft München, die lange Zeit ihre schützenden Hände über den vermeintlichen Fintech Giganten Wirecard hielten. Weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte: Deutschlands einziges Startup von Weltrang eine einzige kriminelle Vereinigung. Auch die Commerzbank und das Handelsblatt agierten lange Zeit wie Komplizen von Wirecard und nicht wie unabhängige Institutionen. EY (früher Ernst & Young) erstatteten jahrelang Gefälligkeitsbilanzen, winkten die falschen Wirecard Angaben durch und verliehen dem Konzern dadurch eine seriöse Fassade.
Die FT hatte bereits spätestens 2015 gut recherchierte Artikel veröffentlicht, die das kriminelle Vorgehen von Wirecard exakt beschrieben. Wirecard dementierte jeden Artikel und bezichtigte die FT, Hand in Hand mit sog. Shortsellern (Spekulanten, die bei fallenden Aktienkursen Geld verdienen) bewusst oder unbewusst Falschmeldungen zu verbreiten, die den Aktienkurs von Wirecard nach unten drücken sollten. Bemerkenswert war, dass alle deutschen Akteure immer und ausschließlich der Darstellung von Wirecard Glauben schenkten. Dies ging soweit, dass gegen McCrum und andere FT-Journalisten seitens der Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden und auf dem Höhepunkt der Schlacht die BaFin ein Verbot von sog. Leerverkäufen der Wirecard-Aktie anordnete. Eine Maßnahme, die es in der Geschichte nur ein einziges Mal gegeben hatte, nämlich auf der Scheitelwelle der Finanzkrise 2008/09. Wohlgemerkt: einer seriösen Zeitung wie der FT wurde von deutschen Behörden unterstellt, wissentlich mit Spekulanten zusammen zuarbeiten und jahrelang wider besserem Wissen Artikel mit falschen Tatsachenbehauptungen zu verbreiten um einem deutschen Unternehmen zu schaden.
Wirtschaftskrimi
McCrum beschreibt in einen guten, temporeichen Stil seine acht Jahre dauernden Recherchen zu Wirecard. Mit dem gewohnt britischen Understatement und Hang zur Selbstironie hat er einen im besten Sinn spannenden Wirtschaftskrim verfasst, dessen Inhalt das Zeug hat, demnächst in einem wirklichen Krimi möglicherweise von Dominique Manotti entsprechend Verwendung zu finden.
Gut und interessant ist auch die kontinuierliche Darstellung, wie konspirativ investigative Journalist*innen arbeiten: Treffen mit halbseidenen Informanten werden aus Angst vor Fallen und Honeypots mit Kameras gegenobserviert, Artikelentwürfe prinzipiell auf nicht internetfähigen Laptops in abhörsicheren Räumen der Redaktion verfasst, Handys sind darin grundsötzlich nicht erlaubt, jede Information wird daraufhin abgeklopft, ob es sich evtl. um eine Falle oder Provokation handeln könnte.
Erfrischend auch, dass die Leser*innen wenig bis keine ökonomischen Vorkenntnisse brauchen, um das Buch zu verstehen.
Ab dem achten Dezember stehen einige der Wirecard Verantwortlichen, darunter der CEO Markus Braun in einem Mammutprozess als Angeklagte vor dem Landgericht München. Der mutmaßliche Mastermind Jan Marsalek ist rechtzeitig untergetaucht und wird in Russland vermutet. Dessen Persönlichkeit schillernd zu nennen, dürfte eine sehr große Untertreibung sein. Marsalek hatte gute Kontakte zu österreichischen Rechtsnationalisten und österreichischen sowie russischen Geheimdiensten und war angeblich in Besitz des „Rezepts“ zur Herstellung des Nervengifts Nowitschok. Er war in Lybien an Zementwerken finanziell beteiligt und wollte dort eine Miliz von 15.000 Bewaffneten aufstellen, um die Grenzen zu kontrollieren. Weitere Projekte, wie der Bau von Autobahnen und Fabriken waren angeblich in Planung. Ob das Größenwahn oder reale Hintergründe hatte, ist nicht das Thema in diesem Buch. Aber die auffällige Übereinstimmung mit russischen Interessen und häufige Besuche in Moskau werfen die Frage auf, ob Marsalek oder auch Wirecard insgesamt unter russischer Protektion standen. Vor diesem Hintergrund hätte die angedachte Übernahme der Deutschen Bank – laut McCrum wäre das der größte Bankraub der Geschichte gewesen – noch einmal ganz andere Dimensionen gewonnen, von denen Bertold Brecht damals noch nichts ahnen konnte…..