Vincent Bevins: „Die Jakarta-Methode. Wie ein mörderisches Programm Washingtons unsere Welt bis heute prägt“
Die „Jakarta-Methode“ liefert einen umfassenden Bericht über die Zeit, in der die Kämpfe um nationale Unabhängigkeit gegen den Imperialismus weltweit brutal niedergeschlagen wurden. Der stetige Aufstieg des US-geführten Kapitalismus in der Nachkriegszeit und sein Kalter Krieg mit den sozialistischen Konkurrenten bedeutete für viele Länder des Südens die zwangsweise Integration in das globale kapitalistische System; oft durch verdeckte oder offene Methoden des CIA von unsäglicher Brutalität.
Die zwangsweise Integration vieler Länder des Südens in das globale kapitalistische System geschah oft durch verdeckte oder offene Methoden des CIA von unsäglicher Brutalität. Davon handelt das Buch von Bevins.
>> Content-Note: sowohl das Buch, als auch diese Rezension enthalten Beschreibungen brutaler und mörderischer Repression <<
„Die USA haben sich durchgesetzt. Hier in Indonesien habt ihr bekommen, was ihr wolltet, ja weltweit habt ihr bekommen, was ihr wolltet. (…) Der Kalte Krieg war ein Konflikt zwischen Sozialismus und Kapitalismus und der Kapitalismus hat gesiegt.“
„Und wie haben wir gewonnen?“ fragte ich. „You killed uns“, antwortete Winarso
Am Ende des 2. Weltkriegs trat im antikolonialen Kampf eine neue Bewegung auf den Plan, „energiegeladen und voller Tatkraft, die ihre Stunde gekommen sah“. So befreiten sich u. a. Indien und Indonesien von der kolonialen Unterdrückung durch England bzw. die Niederlande.
„Für einen Großteil des Planeten war die ‚Dritte Welt‘ mehr als eine Kategorie – sie war ein Aufbruch“
Hingegen wurde unter dem Begriff ‚Dritte Welt‘ in den USA in ihrem bald einsetzenden antikommunistischen Kreuzzug das Schreckgespenst der Volks- und Revolutionskämpfe in den ehemaligen Kolonien verstanden.
Die „Jakarta-Methode“ liefert einen umfassenden Bericht über die Zeit, in der die Kämpfe um nationale Unabhängigkeit gegen den Imperialismus weltweit brutal niedergeschlagen wurden.
Vincent Bevins ist ein US-amerikanischer Journalist und hat lange Jahre u. a. für die ‚Los Angeles Times‘ und die ‚Washington Post‘ als Korrespondent in Indonesien und Brasilien gearbeitet.
Bevins versteht es, seine Recherchen in mittlerweile zugänglichen Archiven der US-Geheimdienste mit persönlichen Interviews von Opfern und Überlebenden der Jakarta-Methode zu verbinden. So gelingt es dem Autor, trockene Analysen der US-Weltpolitik mit zurückhaltenden Beschreibungen der Massaker, Folterungen, Vergewaltigungen und empathischen Begegnungen mit Überlebenden miteinander zu verweben.
Wie es zu der „Jakarta-Methode“ kam und warum sie in mehr als 20 Ländern angewendet wurde, soll in einigen Sätzen hier vorgestellt werden. Die Lektüre der 420 Seiten kann sie nicht natürlich ersetzen.
Bevins geht in die Zeit unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg zurück. Der damalige FBI-Direktor Hoover gilt als der Begründer des antikommunistischen Feldzuges der USA bis in die heutigen Tage. Vor dem Komitee für „Unamerikanische Umtriebe“ (dessen Vorsitzender der berüchtigte Mc Carthy war) malte Hoover 1947 das Schreckgespenst des Kommunismus an die Wand, der den „amerikanischen Fortschritt“ in allen Ländern bekämpfen werde. Alles, was sich gegen die Interessen der USA und der US-Konzerne stelle, sei vom Kommunismus infiziert. Und all diejenigen, die sich für Sozial- oder Landreformen einsetzen – ebenfalls. Sie gelte es zu liquidieren.
Während der Koreakrieg eine offene militärische Konfrontation mit dem Kommunismus Anfang der 50er Jahre war, fanden zwei große klandestine Operationen des CIA 1953 und 1954 statt. In Zusammenarbeit mit dem britischen Geheimdienst MI 6 putschte die CIA 1953 den populären iranischen Präsidenten Mohammad Mossadegh aus dem Amt, weil er die privaten (u. a. britischen) Ölgesellschaften verstaatlicht hatte. Im Jahr darauf wurde Präsident Arbenz in Guatemala gestürzt (weil er die Unverschämtheit besaß und den US-Konzern United Fruit verstaatlichen wollte) und es folgten Massaker an zweihunderttausend Kleinbäuerinnen in den nachfolgenden Jahren, weil sie Landreformen verlangten und deshalb in den Augen des Militärs und der CIA anfällig für den Kommunismus waren.
Indonesien war zu der Zeit noch in den USA ein angesehener junger Staat, der sich 1948 vom kolonialen Joch befreit hatte. Präsident Sukarno war neben dem indischen Präsidenten Nehru einer der populären Anführer der neutralen Länder der ‚Dritten Welt‘. Die Konferenz von Bandung 1955 wurde zum Höhepunkt der Bewegung der „Blockfreien“, wie sie sich selbst nannten.
Doch das änderte sich fundamental, als Fidel Castro 1959 Kuba aus der us-amerikanischen Vormacht befreite. Jetzt begann endgültig der globale antikommunistische Kreuzzug der US-Aussenpolitik. Und die Taktik der Infiltration änderte sich grundlegend. Auf der Suche nach überzeugten Antikommunisten wurden die Strategen des CIA fündig in den höheren Rängen der Militärs der Dritte Welt – Länder. Sie wurden eingeladen zu Ausbildungscamps in die USA oder nach Panama und bekamen dort eine intensive Ausbildung an modernsten Waffen, aber vor allem eine intensive ideologische Indoktrination verabreicht. Zurück in ihren Heimatländern wurden sie zu wichtigen Ansprechpartnern des US-Militärs und des CIA.
So geschah es Anfang der 60er Jahre in Indonesien. In dem nach China bevölkerungsreichsten Land Südostasiens stützte die drittgrößte Kommunistische Partei der Welt, die PKI, seit Jahren Präsident Sukarno, der weiterhin trotz aller Drohungen der USA gleichberechtigte Beziehungen zu China, den USA und der Sowjetunion pflegte. 1965 verloren die USA die Geduld und beauftragten den CIA in einer verdeckten Operation, einen Militärputsch mit den antikommunistischen Kräften in der Armee Indonesiens anzuzetteln. Parallel dazu ließ der CIA Horrorgeschichten und Filme über die menschenfeindliche Politik der PKI anfertigen, die in Teilen, besonders unter Muslimen auf fruchtbaren Boden stießen. Das sofort nach dem Putsch am 1. Oktober einsetzende Massaker (angeblich, so die Leitmedien in Jakarta, hätten die Kommunisten die mit Sukarno verbündeten sechs Generäle von weiblichen Nackten heimtückisch ermorden lassen und ihnen vorher die Augen ausgestochen und die Genitalien verstümmelt) gegen Mitglieder der PKI, aber auch gegen vermeintliche Sympathisanten, war grauenerregend. Jeden Morgen lagen an den Stränden von Java und Bali hunderte von in der Nacht geköpften oder hingerichteten Menschen. Folterungen, nächtliche Razzien und Schüsse zogen sich über ein halbes Jahr hin. Hunderttausende wurden inhaftiert, fast eine Millionen verloren ihr Leben. Der neue Befehlshaber Suharto sorgte sehr schnell dafür, das über diese Massaker der Mantel des Schweigens gelegt wurde. Die Überlebenden waren auf sich allein gestellt und stigmatisiert.
Diese systematische Ausrottung einer kommunistischen Bewegung wurde zum Vorbild für Länder, die weit ab von Indonesien wie z. B. in Lateinamerika der ‚Gefahr einer kommunistischen Unterwanderung‘ im Sinne der US-Außenpolitik ausgesetzt waren. Das galt an vorderster Stelle in den 60er Jahren für Brasilien, wo 1964 eine Militärdiktatur die Macht übernahm und auch sofort begann, zwar nicht hunderttausende aber zehntausende vermeintliche Kommunistinnen oder Gewerkschafterinnen zu liquidieren. Wenig später beriefen sich die tief antikommunistischen Generäle ausdrücklich auf die „Jakarta-Methode“.
Anfang der 70er tauchten Parolen wie „Yakarta Viene“ oder „Plan Yakarta“ an den Hauswänden in den Vierteln der Reichen im Osten Santiagos in Chile auf. Sofort nach dem Wahlsieg Allendes machte sich der CIA dran, das Land zu destabilisieren und suchte nach antikommunistischen Verbündeten im Militär. Nach dem Putsch 1973 übernahm Pinochet die „Jakarta-Methode“ in grausamster Weise und erweiterte zusammen mit den Diktaturen in Brasilien und Argentinien in dem Plan „Condor“ die Folter- und Tötungsmethoden. Auch die aus Indonesien importierte Variante wurde massenhaft angewandt, das „Verschwindenlassen“.
Bevins listet am Ende 23 Länder auf, in denen die Massenmorde zum Einsatz kamen. Insgesamt, so seine Zusammenstellung am Schluss, sind durch die Counterinsurgency-Operationen, an denen der CIA oder andere US-Dienste beteiligt waren, seit 1945 mehr als zwei (!) Millionen Menschen umgebracht worden. Und bis in die heutigen Tage geht der Feldzug gegen vermeintliche Kommunistinnen weiter. Unter Präsident Duterte sind in den letzten Jahren auf den Philippinen Zehntausende gefoltert, massakriert worden.
Während die Überlebenden in Indonesien mit dem Traumata und der Ausgrenzung bis heute zu kämpfen haben, sind die USA „das Land der großen Amnesie“, wie Bevins einen ehemaligen US-Botschafter zitiert. Der eingangs erwähnte Winarso arbeitet heute in einer kleinen Initiative in Jakarta, die sich um die überlebenden Opfer kümmert. In Indonesien herrscht auch fast 60 Jahre nach den Massakern weiterhin Grabesstille und in den Schulbüchern und in einem Museum in Jakarta wird die Lüge vom kommunistischen Komplott 1965 als Staatsdoktrin weiter verbreitet.
Bevins Fazit ist düster:
“Der fanatische Antikommunismus hat uns nie verlassen (…) Nicht nur in Brasilien und in Indonesien hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass dieses gewalttätige paranoide Modell eine äußerst starke Kraft in der Politik bleibt.“
Vincent Bevins: „Die Jakarta-Methode. Wie ein mörderisches Programm Washingtons unsere Welt bis heute prägt“ (Aus dem Amerikanischen Englisch von Glenn Jäger), Januar 2023, Papyrossa Verlag, Klappenbroschur, 427 Seiten, 28 Euro
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