Gavin Mueller: Maschinenstürmer – Autonomie und Sabotage

Das gute Nautilus-Verlags-Kollektiv hat in seiner Flugschriftenreihe ein weiteres kluges Buch veröffentlicht.

Gavin Mueller: „Maschinenstürmer. Autonomie und Sabotage“

Der Autor wirft die alte Frage auf, was ist Technologie und wie ist sie zu bewerten.

 

Die alte Marx-These, wonach Technik neutral sei und es nur darauf ankomme, wer sie wie nutzt, dürfte innerhalb der undogmatischen Linken zwar kaum noch jemand vertreten. Aber außerhalb dieses politischen Spektrums gibt es wahrscheinlich noch einige AnhängerInnen davon und auch undogmatische Linke dürften nicht in jedem Fall ein kritisches Verhältnis zu neuen Technologien haben. Diese „Akzelerationalist*innen“ innerhalb der Linken dürfte der Autor hinsichtlich Anzahl und Einfluss leicht überbewerten und dennoch ist die Auseinandersetzung und Positionierung hinsichtlich neuer Technologien immer eine aktuelle und wichtige Frage innerhalb der Linken.

Mueller beginnt mit einem historischen Rückblick auf die sog. Luddit*innen, hierzulande meist mit kritischem bis ablehnenden Unterton auch Maschinenstürmer*innen genannt. Er beschreibt eindrücklich und mit gar nicht so schwierigen Worten, wie im wesentlichen Textilarbeiter*innen im 18. Jahrhundert gegen eine (Teil)Automatisierung ihrer Arbeitsplätze Sturm liefen. Es kam zu Streiks, Sabotageaktionen und direkten Angriffen auf die Maschinen. Aus operaistischer Perspektive wird das Verständnis der Arbeiter*innen nachgezeichnet, wie diese eine Automatisierung als direkten Angriff auf ihre Arbeitsautonomie und ihre beruflichen Qualifikationen verstanden.

In einem weiteren Kapitel wird das System des Taylorismus analysiert. Frederick W. Taylor war der Repräsentant der Zerlegung und Neuzusammensetzung der Arbeitszeit. Per Stoppuhr wurde jeder Handgriff im Sinne des Kapitals „optimiert“ und Arbeitsschritte so weit zerlegt, dass immer wieder die gleichen eintönigen stupiden Tätigkeiten absolviert werden mussten. Dieser Effizienzgedanke wurde auch von marxistischen Theoretiker*innen wie Praktiker*innen hochgehalten. Sollte doch das Proletariat im Sozialismus angeblich von den Technologieschüben des Kapitalismus (irgendwann mal) profitieren. In der UdSSR galt Taylor daher als anerkannte Größe der Arbeitsorganisation. Die Malocher*innen – auch die in der UdSSR – hatten allerdings nichts davon, außer viel mehr Stress und immer eintönigere Arbeitsbedingungen.

Seit langem betonen die Apologet*innen der Automatisierung innerhalb der Linken, dass diese technologischen Sprünge auch bereits im Kapitalismus zu weniger Arbeit und einem besseren Leben für alle führen. Mueller weist nach, dass dies im Gegenteil zu immer mehr Arbeit führt und die Behauptung, mehr Technik und Automatisierung führe zu weniger Arbeit, eine Propaganda-Behauptung des Kapitals darstellt. Aktuell am lautesten von den Hightech Konzernen und ihren CEOs aus dem Silicon Valley heraustrompetet. Die bisherige Geschichte gibt den Tech-Kritiker*innen recht. Die Automatisierung verändert die Arbeitsbedingungen nicht zu ihrem Guten, sondern verändert die Klassenzusammensetzung. Die Arbeit wird immer weniger kollektiv, sondern mehr und mehr individuell zu leisten sein, Arbeiter*innen werden immer mehr isoliert tätig und somit wird es ihnen massiv erschwert, sich zu organisieren und Arbeitskämpfe überhaupt zu führen.

Dazu ein kleiner Auszug aus dem Roman von Nicoletta Giampietro „Mit geballter Faust“, Piper Verlag 2022 – es geht um die Reisernte in Italien:

….Dabei erzählte sie von den Mondine, die in den Risaie arbeiteten, als sie selbst noch ein kleines Mädchen war. Mit den Füßen im kalten Wasser, rupften sie vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang Unkraut aus den Feldern. Es war eine Rückenbrechende Arbeit, bei der sich die Frauen Mut und Zuversicht mit Liedern zusangen, die in ganz Norditalien bekannt waren.

„Die Mondine haben schon um 1900 für ihre Rechte und für eine bessere Bezahlung gekämpft“, sagte Irma mit Stolz. „Werden sie heute besser behandelt?“, fragte Gabriella. „Es gibt keine Mondine mehr. Pestizide erledigen heute ihre Arbeit.“ „Und was machen die Frauen jetzt?“ […]

„Sie arbeiten als Dienstmädchen.“

(Nicoletta Giampietro „Mit geballter Faust“, Piper-Verlag, S.51)

Sehr lesenswert ist in Muellers Buch auch das Beispiel über die Zerschlagung der Kampfkraft der Hafen- und Dockarbeiter*innen durch die Erfindung des Containers. Auf einen Schlag wurde eine Vielzahl von Arbeitsplätzen hinfällig und die Liegezeit der Schiffe drastisch verkürzt, was auch nachteilige Auswirkungen auf die Besatzungen der Frachter hatte. Die Erfindung des genormten Container ging neben dem Wunsch des Kapitals nach mehr Effizienz auch auf militärische Anforderungen zurück. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der USA in Vietnam wäre ohne die Containerisierung schwieriger zu führen gewesen. Gleichzeitig machten die Containerschiffe auf dem Rückweg von Vietnam in Japan fest, wo sie mit Elektronikartikeln für die USA vollgeladen wurden. So begann die Globalisierung.

Eindrucksvoll liest sich auch das Kapitel zur Computerisierung der Gesellschaft. So war der Vietnamkrieg der erste computergestützte Krieg der Geschichte. Ein beachtlicher Teil der militärischen Forschung, Entwicklung und Datenverarbeitung war auf die Universitäten ausgelagert worden. Die US-Antikriegsbewegung begann die Computerzentren an den Unis als Teil des Krieges in Vietnam zu begreifen, und sie auch militant anzugreifen und zu zerstören.

Die Politik des Silicon Valley ist hinreichend bekannt, die Überwachung nicht nur gegenüber Arbeiter*innen und Angestellten sondern auch das Datenmining bei privaten User*innen bedeuten eine völlig neue Dimension von sozialer Kontrolle. Aktuell ist das Kapital dabei, die eigene Arbeit auf die Konsument*innen zu verlagern, wenn diese einkaufen gehen und mehr und mehr dazu angehalten werden, ihre Einkäufe selbst einzuscannen.

Laut Mueller lehnt der Luddismus die Produktion um der Produktion willen ab. Er betrachtet Technik nicht als neutral, sondern als einen Ort des Kampfes und des Widerstands. In diesem Sinne verstehen wir das Buch, das wir gerne gelesen haben, als einen wertvollen Beitrag zu einer linken Debatte um Technik, „Fortschritt“, Autonomie und Widerstand.

Gavin Mueller: „Maschinenstürmer. Autonomie und SabotageNautilus Flugschrift, Broschur, September 2022, 230 Seiten, 20,-€

Links-Lesen.de-Kollektiv im Oktober 2022