Telefónica“ von Ilsa Barea-Kulcsar

Der kleine feine Wiener Verlag „Edition Atelier“ hat in seiner Reihe „Literatur des 20. Jahrhunderts“ ein Buch herausgegeben, das bisher nur als Fortsetzungsroman in der österreichischen „Arbeiter-Zeitung“ von 1949 erschienen war: „Telefónica“ von Ilsa Barea-Kulcsar, ein Roman, der an wenigen Tagen während des Spanischen Bürgerkriegs in Madrid 1936/37 spielt. Und, um es gleich vorweg zu nehmen: es ist ein nicht nur beeindruckendes sondern auch ein sehr schönes Buch von und über eine Frau geworden, die den Kampf der Spanischen Republik gegen die Franco-Putschisten selber miterlebt hat. Im Vorwort „Statt einer Widmumg“ schreibt Ilsa Barea-Kulcsar 1939, dass sie an diejenigen lebenden oder die nun schon toten Menschen denkt, die „sich nicht fügen wollten und die sich nicht ergaben, weil sie es nicht für recht hielten“.

Die 1902 in Wien geborene Autorin Ilsa Barea-Kulcsar war eine linke Aktivistin und Intellektuelle, die in Österreich in sozialdemokratischen und kommunistischen Gruppen bzw. Parteien Mitglied war. Nachdem die Polizei während des kurzen österreichischen Aufstands gegen den Faschismus 1934 die Untergrund-Aktivitäten des Ehepaars Kulcsars entdeckte, flüchteten diese in die Tschechoslowakei und gaben dort eine sozialistische Zeitschrift heraus, die illegal in Österreich vertrieben werden sollte. Während ihr damaliger erster Mann Leopold Kulcsar in Prag als Pressechef für die spanische Republik arbeitete, wurden nach Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs vermutlich über diese Schlüsselposition einige freiwillige Kämpfer*innen aus Polen, Ungarn, Deutschland und Österreich nach Spanien geschleust. Auch Ilsa Kulcsar wollte selbst aktiv werden und als Journalistin Reportagen aus dem Spanischen Bürgerkrieg schreiben. Die Kontakte waren vorhanden und somit reiste sie im Oktober 1936 über Paris nach Spanien, wo sie zunächst als Journalistin tätig war und jede Menge andere Auslandskorrespondent*innen kennenlernte. Mit einem Ausweis der „Frente popular“ ausgestattet begann sie schließlich eine Tätigkeit in der berühmten „Telefónica“ in Madrid. Den damals höchsten europäischen Wolkenkratzer nutzten die republikanischen Streitkräfte als militärischen Überwachungsposten, als Kommunikations-Schaltstelle und Pressezentrale. Dort befanden sich auch Büros der ausländischen Presse, die von da aus ihre Meldungen nach einem Zwischenschritt in der Zensurstelle in ihre Herkunftsländer funkten. Barea-Kulcsar begann hier ihre Arbeit in der Zensurabteilung – ihre Sprachkenntnisse und frühere Kontakte zu verschiedenen ausländischen Journalist*innen prädestinierten sie für diese politisch sensible Aufgabe.

Im Roman schreibt sie die Geschichte einer deutschen Frau, Anita Adam, die eben diese Arbeit in der Telefónica leistet und dabei sowohl den Kommandanten als auch Journalist*innen und Flüchtlinge kennenlernt, die im bombensicheren Keller dieses Gebäudes untergebracht werden. Vor allem die Begegnungen mit denjenigen, die vor Francos Truppen und Bombardements ins Stadtzentrum Madrids geflohen sind, erlauben es ihrer Romanfigur, Erfahrungen verschiedener gesellschaftlicher Schichten mit der Kriegssituation zu schildern, aber auch politische Haltungen und linke Inhalte der spanischen Republik einfließen zu lassen: Frauenemanzipation, Solidarität, gemeinschaftliches Anpacken unabhängig von Herkunft und Ausbildung, aber auch Zweifel, Sorgen und Widersprüche.

Ilsa Barea-Kulcsar hat sich für eine Romanform entschieden, die sehr eng und dicht an ihren eigenen Erlebnissen aufbaut. Sie lässt ihre Hauptfigur Anita Adam vermutlich sehr viele eigene Erfahrungen erleben: Begeisterung genauso wie Irritationen, ihre Arbeit wird geschätzt, aber es wird ihr auch Misstrauen gegenüber gebracht, weil sie von so weit her nach Spanien kommt, ihre Weiblichkeit wird anders beäugt als die der Spanierinnen. Aus feministischer Perspektive ist es interessant, wie Ilsa Barea-Kulcsar den Umgang zwischen den Geschlechtern und ihr alter ego als eher unattraktive Frau beschreibt, die keinen großen Wert legt auf Äußerlichkeiten. Auch die Liebesgeschichte zwischen Anita Adam und dem Kommandanten der Telefónica, die ebenfalls Teil ihrer eigenen Biographie ist, spiegelt ein für damalige Verhältnisse modernes und selbstbewusstes Verhalten wieder; die Möglichkeit von Scheidung und Zivilhochzeiten sind im vormals stark katholisch geprägten Spanien neue und von der Autorin bewusst positiv hervorgehobene Errungenschaften der spanischen Republik. Man merkt hier, dass Barea-Kulcsar ihr Leben lang publizistisch und propagandistisch tätig war, denn der Roman ist in vielerlei Hinsicht ein Propagandastück.

Die Autorin selbst konnte nur durch die neue spanische Gesetzgebung den ehemaligen Telefónica-Kommandant Arturo Barea nach seiner Scheidung heiraten. Sie flieht 1938 mit ihm aus Franco-Spanien über Paris ins Exil nach England, wo sie ab September 1939 für die BBC im „Monitoring Service“ arbeitet und den deutschen Funk abhört. Den Roman „Telefónica“ beginnt sie direkt nach der Flucht zu schreiben, also noch voller Eindrücke des gerade Erlebten.

Der Roman ist somit ein beeindruckendes Stück Zeitgeschichte. Vor dem Hintergrund der jetzigen Kenntnisse über den Spanischen Bürgerkrieg mit seinen zum Teil brutalen innerlinken Auseinandersetzungen und der oft mörderischen sowjetischen Geheimdienstpolitik ist man als Leser*in heute häufig versucht, Ilsa Barea-Kulcsar einem der beiden großen Lager zuzuordnen. Dem entzieht sich der Roman jedoch ein wenig, da die großen politischen Differenzen zwischen kommunistischen und anarchistischen Gruppen zwar durchaus Raum bekommen, aber eine einfache Schwarz-Weiß-Zeichnung unterbleibt. Barea-Kulcsar erfindet eher vielschichtige Figuren, in denen sowohl Kommunist*innen als auch Anarchist*innen mal Sympathieträger sind und mal das Gegenteil. Eine politische Wertung wird jedoch dort deutlich, wo sie Anita Adam für eine freiere und selbstbewusstere Zensurpolitik kämpfen lässt. Die reale Ilsa Barea-Kulcsar lässt hier ihre Romanfigur dafür eintreten, dass die Volksfront auch Niederlagen einräumen sollte und allzu plumpe Propaganda der Republik gerade keinen Dienst erweist.

Insofern enthält das Buch viele politisch interessante Aspekte, es liest sich recht gut, auch wenn es in einer anderen Zeit geschrieben wurde. Dankenswerterweise enthält es ein bewegendes Nachwort von Ilsa Barea-Kulcsar selbst sowie eines des Germanisten Georg Pichler, der sowohl die Lebens- als auch die Editionsgeschichte aufschlussreich aufarbeitet.

Der Verlag hat zudem eine sehr schöne Edition herausgebracht, Buchformat und Einband sind aufwändig gestaltet, was die historische und politische Bedeutung des Buches positiv unterstreicht.

Links-Lesen-Kollektiv im Dezember 2019