Hier unsere Buchtipps zum Jahr 2020:

Wir haben für Euch wieder politische spannende Sachbücher, Romane, Graphic Novels (auch) aus unabhängigen kleinen Verlagen herausgesucht, die uns beeindruckt haben und die zur Lage der Dinge passen – zum Verschenken oder selber Lesen.

Bestellt gerne bald, damit alles rechtzeitig ankommt. Euch Alles Gute – bleibt solidarisch!

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Unser Buchtipp zum Corona-Jahr ist die Studie des US-amerikanischen Evolutionsbiologen und Epidemiologen Rob Wallace „Was COVID-19 mit der ökologischen Krise, mit dem Raubbau an der Natur und dem Agrobusiness zu tun hat“ hrsg. von PapyRossa. Wie der Titel schon sagt, eine kapitalismuskritische Arbeit aus dem Bereich der Politischen Ökologie mit Fokus auf unsere ausbeuterische Lebensweise, das Agrobusiness, die Fleischindustrie und einige Schweinereien mehr…

Als Linke ist aber auch die generelle Auseinandersetzung mit Praktiken des Widerstands gegen kapitalistische, rassistische, sexistische und weitere Zumutungen und Zustände vonnöten – hierfür leistet die französische Philosophin Elsa Dorlin in „Selbstverteidigung. Eine Philosophie der Gewalt“ hrsg. bei Suhrkamp eine historische Rekomstruktion von Widerstandspraktiken subalterner Gruppen. Es geht um Selbstverteidigung der (scheinbar) Schwachen, um den Einsatz des eigenen Körpers und um Kämpfe der Unterdrückten. Eine lohnenswerte Studie und politische Diskussion ethischer Fragen des Auf- und Widerstands – spannend!

Um Aktivismus und Widerstand geht es auch bei „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen“ hrsg. bei Matthes & Seitz. In dieser Streitschrift zum Klimawandel fordert der schwedische Wissenschaftler und Aktivist Andreas Malm radikalen Einsatz, um die Förderung fossiler Brennstoffe zu stoppen. Malm argumentiert mit apokalyptischen Szenarien – diskussionswürdig ist das nicht nur für die Klimabewegung, sondern auch gesellschaftspolitisch, weil es hier gleichzeitig um Fragen nach größtmöglicher Partizipation gehen muss.

Zu beschäftigen gilt es sich auch mit so unappetittlichen Phänomenen wie den „Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults“ , was Veronika Kracher beim Ventil-Verlag aufgelegt hat – macht Euch schlau über diese Strömung des Antifeminismus. Das Buch beleuchtet eine Welt voll Frauenhass und erklärt dahinterstehende weit verbreitete Ideologien. Die Forscherin macht endlich da weiter, wo die schnelle Zeitungsmeldung vom nerdigen computeraffinen Einzeltäter meist schon wieder aufhört.

Ein spannender Debattenbeitrag ist der Essay „Die Fallen des Multikulturalismus“ aus dem Schweizer Rotpunktverlag. Die Philosophin Cinzia Sciuto formuliert darin eine linke und feministische Kritik am Konzept des Multikulturalismus und plädiert für einen wirklichen Laizismus. Wir haben das Buch hier ausführlich besprochen.

Ein autobiografisches Werk mit Fokus auf ihre Knastzeit hat die frühere Aktivistin, Journalistin und Autorin Ingrid Strobl geschrieben: „Vermessene Zeit. Der Wecker, der Knast und ich“ hrsg. von Nautilus. Es geht um Legitimität von Widerstand, um Angst vor Repression, um die ‚Revolutionären Zellen‘, um Frauenrechte, um Solidarität, um Knast und Isolationshaft, aber auch um journalistisch-historisches Arbeiten zur NS-Zeit; hie und da etwas irritierend selbstbezogen, aber ein lesenswertes Dokument.

Aus den autonomen Bewegungen der Bundesrepublik erzählt der mit vielen Fotos ausgestattete Band „Autonome in Bewegung“ (hrsg. von Assoziation A): persönliche Aktionsberichte, Reflexionen und Debattenbeiträge aus über 30 Jahren linksradikaler Praxis – schöne Geschichtsschreibung von unten, seit diesem Jahr mit erweitertem Vorwort bis in die letzten Jahre neu aufgelegt.

Gegen mein Gewissen“ im avant-Verlag legen wir Euch als eine wichtige antimilitaristische Graphic Novel nahe: Hannah Brinkmann zeichnet darin die bittere Geschichte ihres Onkels, der in den 1970ern versuchte, den Kriegsdienst zu verweigern. Er scheiterte an einer der miesen „Gewissensprüfungen“ und nahm sich schließlich als zwangsverpflichteter Soldat das Leben…

Eine Art gesellschaftskritisches Musik-Geschichtsbuch ist das Buch „Eine ehrenwerte Familie. Die Microphone Mafia – Mehr als nur Musik“ aus dem PapyRossa-Verlag – wer kann möge eine Lesung von Mitautor und Sänger Kutlu Yurtseven besuchen (oder online gucken), weil das so erfrischend ist. Aber auch das Buch zu lesen ist sowohl eine Freude als auch immer wieder antirassistischer Denkanstoß.

Mely Kiyak betreibt im Band „Frausein“ (Hanser Verlag) eine ehrliche Erkundung der eigenen Wünsche und Ziele als Schriftstellerin und autonome, aber auch verletztliche Frau. Dabei verweigert sie sich vielen erwartbaren Zuschreibungen. Sie tut dies mal nachdenklich, mal erzählerisch mit Rückblicken und aktuellen Überlegungen. Herausgekommen ist weder Pamphlet noch Opfergeschichte, sondern eine Wegbeschreibung hin zu einem Frausein, das bewusst nicht auf Mann oder Kinder angewiesen ist.

Als letztes wollen wir Euch diese Bücher ans Herz legen, die uns 2020 bewegt haben:

Ganz klares Lieblingsbuch: „Das Mädchen mit der Leica“ von Helena Janeczek hrsg. im Berlin Verlag – wir haben es hier ausführlich rezensiert: ein außergewöhnliches Porträt der Internationalistin und Fotografin Gerda Taro und – was noch beeindruckender ist – ein Porträt der damaligen Zeit (bis 1937).

Die rassistischen Stimmungen, Attacken und Politiken, die in den USA nicht nur durch Trump, sondern auch durch Alt Right, Evangelikale und weitere Akteur*innen produziert werden, waren im Jahr 2020 ebenso Thema wie #BlackLivesMatter. Unser Buchtipp dazu ist „Brandsätze“ von Steph Cha (ars Vivendi Verlag), die einen harten Roman über einen echten Vorfall aus Los Angeles im Jahr 1991 konstruiert hat – es geht um Gewalt, Mord, Rassismus und wie sich dies in Familien und konkreten Biografien niederschlägt.

Anna Burns ist mit dem irischen Roman „Milchmann“ (Tropen Verlag) ein unserer Meinung nach großer Wurf gelungen: anhand eines Stalking-Vorfalls schildert die Autorin die befremdliche aber teilweise auch urkomische Enge einer im Nordirlandkonflikt feststeckenden Kleinstadtgesellschaft aus Sicht einer sehr eigenen jungen Frau, die sich eigentlich gern all dem entziehen würde – große politische Literatur!

Das wirkliche Leben“ der Belgierin Adeline Dieudonné (hrsg. bei dtv) greift das Thema Gewalt gegen Frauen aus der Sicht eines sehr mutigen und phantasievollen jungen Mädchens auf, die vor allem ihren Bruder davor schützen will, ähnlich wie der gewalttätige Vater zu werden. Harter, zum Teil schwer zu ertragender Stoff, aber gleichzeitig ein Buch, das beeindruckend beschreibt, wie sich aus scheinbarer Ausweglosigkeit doch Handlungsoptionen ergeben können – rasant und toll geschrieben!

Nach Israel-Palästina entführt uns ein ganz beeindruckendes literarisches und auch layouterisches Kunstwerk in 1001 Abschnitten: „Apeirogon“ von Colum McCann, hrsg. bei Rowohlt. Das Buch kreist um zwei Väter, die im Nahost-Konflikt jeweils ihre Tochter verloren haben, die eine wurde Opfer eines palästinensischen Selbstmordanschlags, die andere starb durch das Gummigeschoss eines israelischen Grenzpolizisten. Diese Inhaltsbeschreibung greift jedoch viel zu kurz – Colum McCann entfaltet eine Art literarisches Kaleidoskop einer ganzen Region, ihrer Bewohner*innen, ihrer jahrtausendealten Geschichte, ihrer Künste und Kulturen, aber auch ihrer Kriege und Konflikte; anrührend, bewegend und aufklärerisch.

Euer Links-Lesen.de-Kollektiv im Dezember 2020