Hier kommen sie unsere Jahresendempfehlungen – Bücher, die wir in diesem Jahr besonders lesenswert, eindrücklich, aufwühlend oder anregend fanden.

Es sind ein ganzer Haufen Sachbücher dabei – aber die Lage der Dinge erfordert ja nun auch Input für Debatten und Diskussionen. Wir würden uns freuen, wenn sich hier einige Tipps finden, die Euch zusagen, zum Verschenken oder für Euch selber.

Bestellt gern frühzeitig. Auch im Buchgroßhandel gibt es Lieferschwierigkeiten und Verzögerungen durch die Pandemie und den erhöhten Druck. Die Zulieferer werden ebenfalls mit dem fortschreitenden Dezember weiter überlastet sein und wir können dann nicht immer kurze Lieferfristen garantieren. Und wie immer gilt: bestellt und kauft auch im lokalen unabhängigen Buchladen vor Ort.


Unsere Sachbücher für das Jahr 2021


Im Jahr 2021 ist viel über Wissenschaft geredet und gestritten worden – als große Fans von Mai Thi Nguyen-Kim, ihren Videos und ihren Büchern empfehlen wir hier wärmstens Fakten gegen Fake-News: „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit. Wahr, falsch, plausibel – die größten Streitfragen wissenschaftlich geprüft

Der langjährige Experte und Recherche-Journalist Andreas Speit hat nun sein neues Buch veröffentlicht: „Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus“ . Wer und welche schon immer wissen wollte, was für Schnittmengen zwischen Antroposoph*innen, Esoteriker*innen, Homöpathiefans, friedensbewegten Alternativen und rechten Siedler*innen, Impfgegner*innen und Coronaleugner*innen bestehen, der/die sollte dieses vom Christoph Links Verlag veröffentlichte Buch lesen. Aufklärerischer Antifaschismus in bester Tradition der 1980er Jahre!

Noch tiefer geht die Studie „Von Homöopathie und Handauflegen zur Hassideologie? Zum Verhältnis von alternativen Heilmethoden zu Verschwörungstheorien, Esoterik und rechten Ideologien“ von Nora Feline Pösl. Wir denken, als Linke sollten wir uns in diesen Fragen wieder fit machen mit Argumenten und in die notwendigen Debatten auch in unserem Nahumfeld einsteigen…

Zu Debatten im Nahumfeld passt auch das Buch von Elizabeth Currid-HalkettFair gehandelt – Wie unser Konsumverhalten die Gesellschaft spaltet„. Die US-amerikanische Stadtsoziologin weist überzeugend nach, wie die neue kulturelle Elite nicht mehr durch demonstrativen Konsum, sondern per ethisch-ökologischem Lifestyle Distinktionsgewinn gegenüber anderen Klassen erzielt und somit einen immer größeren Vorsprung im Kampf um kulturelles Kapital bekommt. Immer schön, wenn Autor*innen ihre eigene Klasse kritisieren!

Vom kulturellen Kapital zum Kapitalismus: Bei Bertz + Fischer erschien „Alternativen zum Kapitalismus. Vorschläge für eine demokratische Ökonomie„.  Robin Hahnel hat das Modell der »partizipatorischen Ökonomie« mitentwickelt – der wohl elaborierteste Entwurf einer anderen Wirtschaftsordnung. Erik Olin Wright  ist Autor des Standardwerks »Envisioning Real Utopias« (dt: »Reale Utopien«), das eine Theorie sozialistischer Transformation mit der Formulierung konkreter Utopien verbindet. In dem vorliegenden Band entwickeln und diskutieren die beiden Autoren Entwürfe demokratischer und egalitärer Ökonomien jenseits zentralistischer Planwirtschaft und kapitalistischer Verwertungslogik.

Neue schlaue Bücher…


Friedrich Kiessling & Christoph Safferling:Staatsschutz im kalten Krieg – Die Bundesanwaltschaft zwischen NS-Vergangenheit, Spiegel-Affäre und RAF“  Nachdem kaum noch alte Nazis leben, hat jetzt auch die BAW ihre braune Vergangenheit historisch aufarbeiten lassen. Wer hätte wohl gedacht, dass in dieser Kampforganisation gegen links bis weit in die 1960er Jahre kaum Mitarbeiter ohne NSDAP-Parteibuch in führenden Positionen saßen? Unerlässliches Buch für das Verständnis von Repression gegen linke Bewegungen in der BRD.

Von alten zu neuen Nazis: „Der Halle-Prozess: MitschriftenLinus Pook, Grischa Stanjek und Tuija Wigard, die HerausgeberInnen dieser Dokumentation über den Prozess gegen den Attentäter auf die Synagoge in Halle gründeten Ende 2019 den Verein democ. Zentrum Demokratischer Widerspruch e. V. Im Buch schildern sie auch die Folgen für die Betroffenen des Anschlags und ordnen das Geschehene ein, womit sehr viel mehr als eine reine Prozessmitschrift entstanden ist. Antifaschistisches Must-read…

Um die Neue Rechte zu verstehen ist „Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet“ von der Historikerin und Wissenschaftsjournalistin Annika Brockschmidt empfehlenswert. Es geht um White Supremacy, Abtreibungsgegner und christlich-fundamentalistischen Kulturkampf – womit wir uns vermutlich auch in Zukunft mehr beschäftigen müssen…

Was 2021 auch viel diskutiert worden ist: (Neo-)Kolonialismus, Humboldtforum, Restitution – zu dieser dringend notwendigen Debatte passt der schön gestaltete Essay „Mona Lisa in Bangoulap. Die Fabel vom Weltmuseum“ von Arno Bertina. Die Vorstellung der dort dargestellten verstockten Europäer:innen, Hüter von Humanität, Offenheit, Demokratie etc. zu sein, wird gelungen dekonstruiert. En passant wird charmant die heuchlerische Seite der Kulturerbe- und Restitutionsdiskussion herausgearbeitet.

Ein sehr bewegendes Buch ist „Dem Tod davongelaufen. Wie neun junge Frauen dem Konzentrationslager entkamen“ vom Assoziation A-Verlag. Eine der Beteiligten, Suzanne Maudet, erzählt hier die unglaubliche und erfolgreiche Fluchtgeschichte von neun Frauen, die ursprünglich ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert worden waren. Nachdem sie zur Zwangsarbeit im Frauenaußenlager Leipzig-Schönefeld gezwungen worden waren, wurden sie auf einen Todesmarsch getrieben, von dem sie fliehen konnten. Das Buch lässt den Atem anhalten und ist anrührend lebensfreudig geschrieben.

Kulturelles und Politisches



Kultur live zu erleben war schwieriger 2021 – wir empfehlen ein paar Bücher: „M_Dokumente. Mania D., Malaria!, Matador“ ist das Buch zum gleichnamigen Festival, das an die drei legendären West-Berliner Frauen-Bands Mania D., Malaria! und Matador, erinnert. Schöner reich bebilderter Einblick in die Westberliner Musik- und Kulturszene ab den späten 1970er-Jahren, in der diese Vorreiterinnen Vorbild für wichtige und notwendige emanzipatorische Bewegungen in der Musikbranche wurden.

Ich brauche eine Genie“ ist ein pop-feministisches Songbook abseits des Mainstreams, schön zum Angucken, Durchblättern, Mitsingen – dazu gibt es eine Spotify-Playlist. Ein Buch für die Zeiten geschlossener Clubs und Konzertsäle…

Die gut lesbare Studie „Soziologie des Gangstarap- Popkultur als Ausdruck sozialer Konflikte“ von Martin Seeliger führt ein in die Diskussion, inwiefern Ganstarap aus migrantischen Herkunftsmilieus als Kampf um Anerkennung und Kritik an sozialer Ungleichheit  gesehen werden kann und was das alles mit Männlichkeitskonstruktionen zu tun hat.

Von der Männlichkeitskonstruktion zu „Die Erfindung der Hausfrau – Geschichte einer Entwertung“ von Evke Rulffes. Eine spannende Kultur- und Klassengeschichte, die zeigt, wie im 19. Jahrhundert die bürgerliche Hausfrau als Rollenbild und soziale Position entstand und wie damit eine massive Entwertung weiblicher Arbeit und Selbstbehauptung einherging.

Carel van Schaik & Kai Michel:Die Wahrheit über Eva – Die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern“ ist ein doofer Titel und hat ein doofes Cover, aber der Untertitel bringt den Inhalt auf den Punkt. Historisch gesehen ist das Patriarchat eine Anomalie – existiert es doch erst seit ca. 5000 Jahren. Warum das so ist und wie es dazu kam, wird überzeugend dargestellt. Schuld ist Sesshaftigkeit und Ackerbau, das ideologische Gerüst zur Machtübernahme der Männer wurde im Anschluss von den monotheistischen Religionen geliefert. Sehr lesenswert!

Romane


Götterfunken“ – ein Roman von Hannes Köhler: Internationalistischer, auch militanter Widerstand gegen das faschistische Franco-Regime im Spanien der 1970er Jahre und was bleibt von den früheren Idealen sind die Themen dieses gelungenen Romans. Der Autor ist ein profunder Kenner des Anarchismus und der historischen Situation in Barcelona. Ein Spanier, ein Franzose und ein Deutscher planen gemeinsam einen Anschlag. 40 Jahre später begegnen sich die Protagonisten erneut.

Grit Lemke hat mit „Kinder von Hoy. Freiheit, Glück und Terror“ einen sehr guten dokumentarisch basierten Roman veröffentlicht. Aufbauend auf Interviews mit ihrer damaligen Clique wird Alltagsleben in Hoyerswerda der 70er Jahre und die kommende Zeit bis hin zu den rassistischen Pogromen erzählt.  Nüchtern und gesellschaftspolitisch eindrücklich erzählt und mit ernüchternd ehrlichem Blick.

Ein schöner Roman in dem sich ein wegen Linksabweichlertum aus dem KBW ausgeschlossener Aktivist im Jahr 1979 durch den Westberliner Alltag schlägt und mit diversen Fragen wie Feminismus, Repression und langen Saufnächten einen Umgang finden muss: Tom Schmieder:Als wir einmal fast erfolgreich warenNix für Dogmatiker*innen aller Coleur – für alle anderen eine klare Empfehlung und speziell für die, die noch eine Erinnerung an diese Zeit haben.

Und es gibt noch einen neuen linken Roman: „Was rot war“ von Enrico Ippolito. Hier geht es um Familienvergangenheit vor dem Hintergrund der Kommunistischen Partei Italiens und von Geschlechterverhältnissen. Nach Eigenaussage wollte Ippolito im Roman unbedingt Klischees rotkarierter Tischdecken und ständig Kaffee-trinkender Italiener:innen vermeiden, aber ganz ohne Espresso-Szenen ging es dann doch nicht…

Shuggie Bain“ von Douglas Stuart beschreibt eine Arbeiterfamilie im Glasgow der 80er-Jahre, vor allem Mutter Agnes und Sohn Shuggie. Ein Klassenroman, der in der Zeit der Thatcher-Ära spielt, Alkoholismus, Macho-Gewalt und Armut zeigt, aber auch Solidarität und Liebe.


Gemischtes…


Im schönen Mandelbaum-Verlag erschien jetzt der Band „Kämpferinnen“ herausgegeben von Birgit Buchinger  – eine Hommage an Feministinnen der zweiten Frauenbewegung. Ein schickes Geschenk an alte und junge Kämpfer:innen…

Melissa Broder hat in „Muttermilch“ ein Loblied geschrieben auf Frozen Joghurt, auf Zuneigung und die Frage, wie ein eigenes Leben trotz der Entwürfe von Eltern möglich ist.

Veit Heinichen: „Entfernte Verwandte„: Der elfte Krimi mit Commissario Brunetti aus Triest. Diesmal wird es historisch – das Thema ist die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten nach der italienischen Kapitulation 1943. Der Fall (tote Nachfahren italienischer Faschisten und Nazikollaborateure) spielt heute, aber es gibt stete Reisen in die Zeit, wo sich das einzige KZ auf italienischem Boden mit angegliedertem Krematorium in der Nähe von Triest befand.

Wer und welche es noch nicht gelesen hat: „Mädchen, Frau etc.“ von Bernadine Evaristo war eines unserer Lieblingsbücher letztes Jahr. Vielleicht ist jetzt die Gelegenheit, in dieser geschickt verwobenen Geschichte von 12 Frauen, die teils in Großbritannien, teils in Nigeria und USA spielt, zu schmökern. Witzig, eindrücklich, lehrreich und nah an aktuellen Debatten um Identität, Unterdrückung, Kolonialismus, Emanzipation und Selbstbehauptung.

Noch neu und leider bisher nur auf Englisch ist „Mr. Loverman„, ebenfalls von Evaristo. Das Buch spielt diesmal in der karibischen Community Großbritanniens.

Die neue Graphic Novel „Frantz Fanon“ von Fréderic Ciriez und Romain Lamy muss leider schon wieder nachgedruckt werden – wir empfehlen sie hier schon mal für das Jahr 2022!