Aufstände der Erde: Erste Beben
Der gute Verlag Assoziation A hat mal wieder – wie so häufig – seine Augen und Ohren nah an sozialen Bewegungen. Diesmal an einer radikalen Fraktion der französischen Klima- und Umweltbewegung: den ‚Les Soulèvements de la Terre‘, also den ‚Aufständen der Erde‘.
Das Buch ist kollektiv verfasst und bis zu 30 Personen sollen in die Diskussion um die Textentwürfe beteiligt gewesen sein. Dies hört sich ziemlich vorbildlich an und das Schöne ist, dass sich das Buch dennoch gut liest. Es gibt wenig Redundanzen und wenig Widersprüchen zwischen den Texten. Für das flüssige Lesen hat wahrscheinlich auch die sehr gute Übersetzung von vier verschiedenen Personen erheblich beigetragen.
In vier verschiedenen Kapiteln erklärt die Bewegung ‚Aufstände der Erde‘ ihre Politiklinien, ihren Widerstand, ihre politischen Grundsätze, ihre Bündnisarbeit und immer wieder ihre Praxis. Es geht ihnen primär um Organisierung und Vernetzung der Kämpfe gegen die ungehemmte Verwendung von Beton, den agro-industriellen Komplex, die Rückeroberung der Territorien und ihren Organisationsaufbau. Bevor jetzt wegen letzterer Formulierung der Blutdruck bei den betont anarchistischen Leser*innen auf unkontrollierte Höhen steigt, sei anzumerken, dass es eher um Organisierung als um einen Organisationsaufbau mit Satzung und Funktionär*innen geht.
‚Aufstände der Erde‘ sehen sich als dezentrales Kollektiv, verteilt über Frankreich und immer bereit, sich in lokale Kämpfe einzuklinken. Sie beschreiben eindrucksvolle Mobilisierungen gegen Betonwerke, Mega-Bassines-Anlagen für industrielle Landwirtschaft und vieles mehr. An ihren großen Bündnis-Demonstrationen beteiligen sich bis zu 30.000 Menschen. Dieses Buch bestätigt einmal mehr eindrucksvoll, dass die sogenannte Gewaltfrage in Frankreich in aller Regel ganz anders beantwortet wird, als in der BRD. Militanz gegen Sachen wird allgemein als legitim betrachtet und bei den Demos gegen die Mega-Bassines agieren Funktionäre der ‚Confédération Paysanne‚ (progressive Bäuerinnenvereinigung) mit offenem Visier gemeinsam mit vermummten Aktivist*innen beim Abflexen des relevantesten Gegenstandes, der Pumpe. ‚Aufstände der Erde‘ sind aber auch Teil von eher unspektakulären Mobilisierungen, wenn z.B. brachliegende Weinberge besetzt und gerodet werden sollen, oder sie beteiligen sich im Rahmen von Vergesellschaftungsprozessen an der illegalen Weinernte von Trauben, die im Eigentum von Multimilliardären stehen.
In ihren Bündnissen versuchen die Aktivist*innen stets, die Bedürfnisse der Betroffenen vor Ort zu berücksichtigen und die Aktionsformen – sprich auch die Form von Militanz – darauf zu begrenzen, was vor Ort vermittelbar und tragbar erscheint.
Politisch beziehen die ‚Aufstände der Erde‘ klar Stellung gegen romantisierende Ideen von Natur und Natürlichkeit und grenzen sich somit deutlich von rechten und/oder esoterischen Vorstellungen auch in kleinen dezentralen agrarischen Strukturen ab. Sie haben somit keine offene Flanke nach rechts und scheinen auch in der Lage zu sein, gewisse Widersprüchlichkeiten zuzulassen. So sagen sie bspw. offen, dass sie längst nicht immer in der Lage sind, klar zu definieren, wo die Grenze zwischen dem agro-industriellen Komplex und kleinbäuerlicher Landwirtschaft verläuft. Einig sind sie sich darüber, dass angesichts der Größe einiger Biohöfe die Frage ‚bio‘ oder ’nicht bio‘ kein entscheidendes Kriterium sein kann.
Teilweise kommen die Beiträge – trotz des Einräumens von Widersprüchen – dennoch etwas glatt rüber: Die Bewegung eilt – trotz gewisser Rückschläge – kontinuierlich von Erfolg zu Erfolg und wächst stetig an. Die Repression kommt mit ihren Kriminalisierungsversuchen (staatlicher Versuch des Einordnens von ‚Les Soulèvements de la Terre‚ = ‚Aufstände der Erde‘ als verbotene Vereinigung) nicht durch, da massenhafte Solidarisierungen stattfinden. Aber es ist wirklich beeindruckend, wenn angesichts eines drohenden Verbotes 160.000 Personen per Unterschrift ihren Beitritt zur Bewegung ‚Aufstände der Erde‘ erklären.
In einigen Teilen erscheint die Radikalität der Aktivist*innen zumindest hinterfragenswert. Die grundsätzliche Ablehnung von TGV-Zug-Verbindungen sowie der Anbindung von mehr Banlieues an Paris durch Ausbau von einer Art S-Bahn-System mag zwar jede Menge Beton vermeiden und auch nicht zur Versiegelung von Landschaften beitragen, aber Zugverkehr ist und bleibt dennoch das klimaschonenste Verkehrsmittel. Darüber hinaus dient auch nach allgemeiner linksradikaler Auffassung die Mobilität von Menschen nicht ausschließlich der Profitmaximierung des Kapitals, sondern ist eine Art Menschenrecht. Aber das ist vielleicht zu systemimmanent gedacht….
Ein sehr lesbares und empfehlenswertes Buch!
Aufstände der Erde: „Erste Beben“, Aus dem Französischen von Sula Textor, Claire Schmartz, Andreas Jandl & Franck Traps, Assoziation A, März 2025, 352 S., broschiert, 24,-€
Links-Lesen.de-Kollektiv im August 2025