Hervé le Tellier: Der Name an der Wand

Hervé Le Tellier: Der Name an der Wand

Ein schmales Buch. Ein berührendes Buch. Ein historisches Buch. Ein Buch über Humanität, Solidarität, Widerstand und Antifaschismus – ein sehr gutes Buch.

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Buchcover

Der Autor möchte ein Haus im Südosten Frankreichs kaufen. Er wird schließlich fündig im Departement Drome, grob gesagt zwischen Alpen und Provence. Unter einer Keramiktafel der Voreigentümerin ist ein Name eingeritzt – eine Tatsache, die der Autor erst einmal lediglich zur Kenntnis nimmt. Das ändert sich rapide, und sein politisches und schriftstellerisches Interesse wird geweckt, als der selbe Name auf einer Tafel am Marktplatz mit während der deutschen Besatzung getöteter Menschen steht. Dieser André Chaix wurde gerade einmal 20 Jahre alt.

Le Tellier beginnt zu recherchieren, bekommt eine kleine Kassette mit persönlichen Dingen des Toten ausgehändigt und findet heraus, dass dieser im Widerstand, im Maquis der Region organisiert war.

Das Buch changiert gekonnt zwischen Anekdoten über den jungen Résistance-Kämpfer, dessen erster Freundin, historischen Fotos von ihm und den Zuständen im besetzten Frankreich. Besonders gelungen ist, dass Le Tellier den Teil seiner Landsleute, die mit den Deutschen kollaboriert haben, überhaupt nicht schont – im Gegenteil.

Der Autor spannt den Bogen von der Kollaboration bis zum Rassemblement Nationale heute und den Ursachen des Faschismus und wie es kommen kann, dass sich Menschen dafür begeistern.

Auch werden hier weitestgehend unbekannte Tatsachen wie das Amnestiegesetz von 1953 erwähnt, welches zur Folge hatte, dass ab diesem Zeitpunkt in Frankreich niemand mehr in Haft sitzt aufgrund von Straftaten im Zusammenhang mit der deutschen Besatzung. Namentlich erwähnt werden auch einige Gründer des Front National (FN), welche als überzeugte Rassisten und Faschisten im zweiten Weltkrieg in deutschen Uniformen in die Waffen-SS eingegliedert waren. Diese meinten, in der UdSSR den Kommunismus bekämpfen zu müssen und hatten bis zuletzt Hitlers Bunker in Berlin gegen die Rote Armee verteidigt.

Dieulefit war der kleine Ort, wo André Chaix lebte. Ein ganz besonderer Ort, in der Diktion der Nazis „ein Nest von Kommunisten und Juden“. Womit sie nicht einmal besonders unrecht hatten, auch wenn die Bewohner*innen vermutlich in erster Linie sich gegen die deutsche Besatzung wehrten und sich dabei sehr human und solidarisch verhielten.

Ab 1941 war ca. jedeR dritte Bewohner*in in Dieulefit jemand, der sich vor den Nazis und ihren französischen Schergen verstecken musste. Niemand von diesen ca. 1.500 Personen wurde deportiert o.ä., niemand wurde denunziert, die lokale Bevölkerung hielt einfach dicht und unterstützte die Geflüchteten, welche aus den unterschiedlichsten Gründen von den Nazis verfolgt wurden.

Hervé Le Tellier – selbst links und antifaschistisch – ist ein großes Werk gelungen, ausgehend von einem eingeritzten Namen, der seine ganze Neugier geweckt hat. Wie gut, dass er noch einige Spuren des viel zu früh ums Leben gekommenen Résistance- Kämpfers gefunden hat und er ihm so ein literarisches Denkmal setzen konnte.

Das Buch eignet sich auch prima als Geschenk.


Hervé Le Tellier: „Der Name an der Wand“ // übersetzt von: Romy Ritte und Jürgen Ritte // April 2025 // 160 S. // Rowohlt Hundert Augen // 24,-€ 

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