„Telefónica“ von Ilsa Barea-Kulcsar Der kleine feine Wiener Verlag „Edition Atelier“ hat in seiner Reihe „Literatur des 20. Jahrhunderts“ ein Buch herausgegeben, das bisher nur als Fortsetzungsroman in der österreichischen „Arbeiter-Zeitung“ von 1949 erschienen war: „Telefónica“ von Ilsa Barea-Kulcsar, ein Roman, der an wenigen Tagen während des Spanischen Bürgerkriegs in Madrid 1936/37 spielt. Und, um es gleich vorweg zu nehmen: es ist ein nicht nur beeindruckendes sondern auch ein sehr schönes Buch von und über eine Frau geworden, die den Kampf der Spanischen Republik gegen die Franco-Putschisten selber miterlebt hat. Im Vorwort „Statt einer Widmumg“ schreibt Ilsa Barea-Kulcsar 1939, dass sie an diejenigen lebenden oder die nun schon toten Menschen denkt, die „sich nicht fügen wollten und die sich nicht ergaben, weil sie es nicht für...
Schön: das Autor*innenkollektiv FE.IN, was für ‚Feministische Intervention‘ steht, hat im Verbrecher-Verlag einen Sternchentitel herausgegeben: „Frauen*rechte und Frauen*hass. Antifeminismus und die Ethnisierung von Gewalt“ (Verbrecher Verlag, 2019). Die Autor*innen verfolgen dabei einen doppelten Blickwinkel: es geht um frauen*feindliche antifeministische Politiken als auch um solche, die von rechts für ‚Frauenrechte‘ auftreten1. In einem dritten mitlaufenden Strang und als ein politisches Ziel des Buches wird für einen eigenen Queerfeminismus argumentiert, der „schlichtweg nicht offen [sein darf] für rechte Vereinnahmungen“.
Die edition assemblage hat die verdienstvolle Mühe unternommen, das Buch von Sebastian Kasper „Spontis“ über „eine Geschichte antiautoritärer Linker im roten Jahrzehnt“ zu verdeutlichen. Es ist gut aufgebaut und strukturiert und nimmt die Leser*innen bei der Hand auf eine Zeitreise durch die Jahre 1967-82. Auch ohne große Vorkenntnisse ist das Buch lesenswert, die Diskurse, Kampagnen und Verfasstheiten der undogmatischen westdeutschen Linken werden nachvollziehbar erklärt.
Francesca Melandri, Drehbuchautorin und Schriftstellerin aus Italien hatte uns bereits mit „Alle außer mir“ verführt, verführt mitten in italienische, europäische und Kolonial-Geschichte – wir waren begeistert. Der schmale Band „Über Meereshöhe“ ist eine leisere Geschichte. Sie erzählt darin vom Leben zweier sehr unterschiedlicher Menschen, deren Gemeinsamkeit zunächst nur der Angehörigen-Status ist; beide sind Angehörige von Gefangenen zur Zeit der sogenannten bleiernen Jahre in Italien.
Drei Bände liegen mittlerweile von der neuen Krimireihe „Lost in Fuseta“ von Gil Ribeiro beim Kiwi-Verlag vor, und sie sind umwerfend gut. Voll mit empathischen Beschreibungen der Protagonist*innen, spannenden Storys mit linken Inhalten, aber auch mit Erzählungen über gutes Essen und prickelnden Vinho Verde. Die Krimis spielen nämlich im portugiesischem Fuseta, welches im ruhigen Teil der Algarve liegt, wo der Rio Formosa mit seinen vorgelagerten Inseln dafür sorgt, dass die Tourist*innen noch rar gesät sind, weil am Festland kein Strandfeeling aufkommt.
Mit „Trigger-Warnung. Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen“ – hat unser Nachbar im Mehringhof, der Verbrecher-Verlag einen ersten Band der ‚Edition Bildungsstätte Anne Frank‘ vorgelegt, dessen Titel und Anspruch in eine wichtige Lücke stößt: das Buchprojekt will von links auf die Schattenseiten und Problematiken von Identitätspolitiken eingehen. Das ist grundsympathisch und sinnvoll in einer Zeit, in der viele aus Angst vor Beifall von der falschen Seite, also von rechts, lieber die Klappe halten, wenn linke Ansätze in Sackgassen geraten und Kritik angebracht wäre.
Linke haben in Krimis häufig ein Repräsentationsproblem, da die handelnden Personen ja doch meist PolizistInnen oder andere der Polizei zuarbeitende Knilche sind. Umso erfrischender ist es, einen Krimi mit linken AkteurInnen zu lesen. „Hinterwald“ von Lissbeth Lutter (eine Hommage an das kollektive Pseudonym Luther Blisset) verlegt seine Handlung nach Mittenwald, mittenrein in die linken Proteste gegen das Gebirgsjägergedenken auf dem Hohen Brendten, bei dem alljährlich hohe Politiker und aktuelle Bundeswehrfunktionäre Seite an Seite mit NS-Kriegsverbrechern der Gebirgsjäger eine Gedenkfeier abhielten.
"Tiefrot und radikal bunt. Für eine neue linke Erzählung" - das ist erst einmal ein Titel mit Anspruch. Angesichts globaler und lokaler politischer Entwicklungen wie das Erstarken der Rechten inkl. schärferer Angriffe auf linke Errungenschaften, Menschenrechte und soziale Sicherungssysteme, angesichts Klimakrise und Naturzerstörung steht außer Frage, dass es auf der Linken Handlungsbedarf gibt und theoretische Konzepte nötig sind. Viele Linke schrecken vielleicht auch aus Bequemlichkeit vor dem gern so genannten 'großen Wurf' einer neuen linken Erzählung zurück. Um einiges leichter ist es sicherlich auch, derlei Versuche anderer skeptisch-kritisch auf ihre Fehlstellen hin zu überprüfen. Insofern zeugt es ein Stück weit von Mut, Selbstbewusstsein und vielleicht einer Art Verantwortung auf Seiten der Autorin, der bisher als Journalistin...
Als ich davon hörte, dass Yok seine Biografie bzw. ‚Autonomografie‘ „Nichts bleibt“ schreibt, war mein erster Gedanke, wer soll das lesen? Und warum schreibt er die? Autonome, die an die Öffentlichkeit gehen, sind schon mal selten und dann noch auch mit privaten Gedanken, Geschehnissen und Geheimnissen? Aber das Buch aus dem Mainzer Indepent-Verlag Ventil lohnt sich, ich bin sehr positiv überrascht.
Die neueste Veröffentlichung „Die Gesellschaft des Zorns“ (transcript-Verlag) der momentan medial relativ präsenten Soziologin Cornelia Koppetsch mit Professur an der TU-Darmstadt versucht bereits im Untertitel das Sujet passend auf vier Worte zu komprimieren: Rechtspopulismus im globalen Zeitalter.
„Erinnerungen eines Mädchens“ von Annie Ernaux ist ein nur etwa 150 Seiten dünnes Bändchen, das jedoch um so mehr an Intensität enthält. Dies liegt nicht etwa an einem rasanten Erzählstil oder einer bewegten Handlung – es liegt viel mehr an der Schonungslosigkeit, mit der die 1940 geborene französische Schriftstellerin hier ihre erste sexuelle Begegnung aufarbeitet, die auch mit dem Begriff Vergewaltigung zu beschreiben wäre, was Ernaux jedoch nicht direkt tut.
In „Feminismus revisited„, hrsg. im Berlin-Verlag, geht es um’s Kinderkriegen genauso wie um Krieg und Frieden, Körperpolitiken und politische Kämpfe, was es zu einem spannenden Buch für feministisch und bewegungshistorisch interessierte Leser*innen macht. Erica Fischer, der Autorin von „Aimée und Jaguar. Eine Liebesgeschichte, Berlin 1943“ ist es mit ihrem neuen Buch gelungen, in einer ansprechenden und anregenden Form ihre eigene Biografie und eine persönliche Bestandsaufnahme sehr aktueller feministischer Debatten zu vereinen.
Was macht ein gutes Geschichtsbuch aus? Ein Kriterium wäre, sich durch Betrachtung eines konkreten Themas und der Beschreibung historischer Abläufe dem Verständnis einer größeren Epoche zu nähern – in diesem Sinne hat der Historiker und Journalist Felix Bohr mit „Die Kriegsverbrecherlobby. Bundesdeutsche Hilfe für im Ausland inhaftierte NS-Täter“ ein sehr gelungenes Geschichtsbuch über die ‚Bonner Republik‘ geschrieben.
In Frankreich hat Olivier Guez mit „Das Verschwinden des Josef Mengele“ einen Bestseller gelandet. Kann das gehen, ein aufklärerisches, literarisch lesenswertes Buch über Josef Mengele zu schreiben? Und möchte man das lesen, die Geschichte, wie sich ein Nazi-Verbrecher und Rassenwahn-Mörder der Strafverfolgung erfolgreich entziehen kann?Um die beiden Fragen gleich zu Beginn zu beantworten: Olivier Guez gelingt es, einen ganz außergewöhnlichen dokumentarischen Roman über die Flucht Mengeles zu schreiben – und ja: dieses Buch ist ausgesprochen lesenswert.
Die bedeutende französische Schriftstellerin Annie Ernaux hat bereits 2008 eine Art Memoiren verfasst, in Deutschland erschien „Die Jahre“ erst 2017. Sie schildert in einer sehr eigenen, geradezu lakonischen Sprache ihr Leben seit frühester Kindheit. Ihre Schreibe bemüht sich dabei stets um Objektivität, das Buch liest sich wie ein Gegenentwurf zur subjektivistischen Darstellung vieler anderer Schriftsteller*innen, gerade wenn es um persönliche Dinge geht. Ernaux versucht so gut es geht, das Wort „ich“ zu vermeiden – es gelingt ihr weitgehend. Es ist der erfolgreiche Versuch, sich nicht selbst als Nabel der Welt zu sehen, sondern sie setzt so gut wie alle Geschehnisse seit ihrer Geburt im Jahr 1940 in einen gesellschaftlichen und damit politischen Kontext. Ihre Perspektive ist links, feministisch und damit äußerst sympathisch.
Dimitris Koufodinas: Geboren am 17. November. Der Wiener Bahoe-Verlag hat verdienterweise ein im Jahr 2014 in Griechenland erschienes Buch über die Geschichte der Stadtguerillagruppe 17. November (im folgenden: 17N) übersetzt und veröffentlicht. Es ist auch die politische Autobiografie eines ihrer historischen Anführer: Dimitris Koufodinas bescheibt sein politisches Leben und das des 17N. Die Schnittmengen sind gewaltig. Es ist zu befürchten, dass die verkaufte Auflage der deutschsprachigen Ausgabe gering bleibt: es geht um den bewaffneten Kampf in der europäischen Peripherie, ein Thema für speziell Interessierte; es handelt von einer Guerillagruppe, wie sie zumindest in Westeuropa schon seit einer politischen Generation nicht oder kaum mehr existiert. Hinzu kommt, dass sich für die sozialen und politischen Verhältnisse in Griechenland...
Wir freuen uns, Euch hier eine sehr ausführliche Rezension von Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, geschrieben von der Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff präsentieren zu können: ein Freund hat das Buch gelesen und fasst zusammen: „Zuboff hält nicht viel von individueller Abwehr wie Veränderung des Äußeren mittels Gesichtsbemalung oder das Tragen von Alustreifen um die Handyortung zu vermeiden. Das würde nur die Symptome bekämpfen, nicht die Ursache“ – wir wünschen viel Spaß beim Lesen und Diskutieren des Buches und der Rezension!
In Berlin, aber nicht nur da, hat das #besetzen neue Aktualität und Mitmachende gewonnen – wie passend hier ein frisch erschienenes Büchlein aus dem kleinen Berliner Verlag Bertz + Fischer, das sich auf die Spuren von Mieter*innenkämpfen begibt. Wer immer schon wissen wollte, was Kakerlaken in Weckgläsern und Trabis als Pflanzkästen miteinander verbindet – im Buch Philipp Mattern: „Mieterkämpfe. Vom Kaiserreich bis heute – Das Beispiel Berlin“ findet sich die Antwort.
Das weitbeachtete Buch von Aladin El-Mafaalani: „Das Integrationsparadox“ wartet mit einer schönen und unerwarteten These auf: die zunehmenden gesellschaftlichen Debatten um Integration, Rassismus etc. seien ein positiver Ausdruck dessen, was bereits alles gelungen sei auf diesem Gebiet. Nur wer am Tisch solcher Debatten Platz genommen habe, sei überhaupt in der Lage, Forderungen zu stellen und Rechte einzufordern.
Harte Themen, radikale Thesen, scharfe Schnitte – ein bisschen wie ein Punkrocksong kommt die rasante feministische Streitschrift „King Kong Theorie“ von Virginie Despentes daher. Mit ihrem Roman und Film „Baise-moi“, in dem zwei Frauen nach brutalen sexualisierten Gewalterfahrungen selber äußerst gewalttätig durch die Gegend ziehen, erreichte die 1969 in Nancy unter anderem Namen geborene Despentes einen Skandal und Verbote: zu pornografisch, zu brutal, zu billig, und und und…